Kantige Gesellen sind die Holzskulpturen von Rainer Günther, die bei "Kunst und Kirche" zu sehen sind. Foto: Selter-Gehring Foto: Schwarzwälder-Bote

Die Collagen von Brigitte Neufeldt tragen Titel wie "Fragment" sowie "Bruchstücke"

Die Collagen von Brigitte Neufeldt tragen Titel wie "Fragment" sowie "Bruchstücke" und fordern den Betrachter heraus. Mehrschichtig und tiefgründig sind Erika Kochs Bilder und Collagen sowohl inhaltlich wie technisch. Sie mahnen die Verletzlichkeit des Lebens und der Seele an. Bei Brigitte Radermayr (Acryl) explodieren die Gefühle. Sie zeigt Kontraste und fließende Grenzen zwischen Freud sowie Leid und strahlt dabei einen bezwingenden Optimismus aus. Klaus Kugler verknüpft in seinen detaillierten Radierungen virtuos Literatur und Malerei. Mit der Kettensäge arbeitet Rainer Günther, um seine überlebensgroßen Holzskulpturen zu schaffen. Kantige Gesichter und schroffe Gesellen versammeln sich zu einer Gruppe und zeigen in rohen Sägeflächen menschliche Zartheit. Den Aufbruch nach dem Abbruch hat Wolf-Stefan Reiser zum Inhalt seiner Skulpturen "Welle", "Gratwanderung" und "Segel" aus Tessiner Marmor gemacht. Geradezu exemplarisch zum Thema sind die Schweißarbeiten von Lothar Hudy, die aus Abgebrochenem und Weggeworfenem Neues entstehen lassen.

Von Annette Selter-Gehring

Calw. Kraftvolle und sinnliche Zwischenrufe, die unter die Haut gehen, sind die Bilder, Kollagen und Skulpturen, die in der Calwer Stadtkirche Peter und Paul derzeit zu bestaunen sind. Bei der zweiten Auflage von "Kunst und Kirche" stellen sich die Werke im Kontext mit dem sakralen Kirchenbau dem Thema "Anbrüche – Abbrüche". Sie spüren auf unterschiedlichste Weise dem Verhältnis von Religion und Politik nach.

Anlässlich der Vernissage erlebten die Besucher einen künstlerischen Entstehungsprozess bei einer musikalisch-bildnerischen Performance hautnah: Rainer Günther gestaltete zu den Geigenklängen von Ruth Wolfstieg ein farbgewaltiges Gemälde.

Als 2013 das 125-jährige Jubiläum gefeiert wurde, fanden zum ersten Mal Bilder und Objekte regionaler Künstler ihren Weg in Calwer Kirche. Bis Ende November sind im Kirchenschiff sowie im Chor vor und hinter dem Altar dieses Mal Werke von Erika Koch, Brigitte Radermayr und Brigitte Neufeld aus Bad Liebenzell, Rainer Günther aus Karlsruhe, Wolf-Stefan Reiser aus Zavelstein, Klaus Kugler aus Simmozheim und dem Calwer Lothar Hudy zu sehen.

Die Kirche als Ausstellungsraum hat vielerlei Aspekte. Zum einen sei es, so Pfarrer Dieter Raschko, der die rund 100 Besucher in die Ausstellung einführte, für den Künstler spannend, sein Werk in einen so prägenden Raum wie es eine Kirche ist zu stellen. Bewusst hätten die sieben Aussteller den religiösen Kontext gesucht. Darüber hinaus erweitere sich der Kreis der Betrachter durch Besucher von Gottesdiensten, Mittagsgebeten und Konzerten. Bei der "Church Night" am Reformationstag gar werden Jugendliche inmitten der Kunstwerke beten, singen, essen und auch schlafen.

"Kunst und Kirche", damit nehme die Kirche eine lange verkannte Chance wahr. "Der Protestantismus ist einseitig fixiert auf die intellektuelle Reflexion und leidet an einem ästhetischen Defizit", so Raschko. Gerade da, wo von Gott die Rede sei, komme das gesprochene Wort an seine Grenzen. Musik, Tanz, Poesie, Literatur, bildende Kunst, Symbole und gestaltete Räume rührten hingegen Tiefenschichten des Menschen an, so Raschko, der betonte, dass diese Ausdrucksmittel nicht weiter verarmen dürften.

Mit der Fragestellung "Anbrüche – Abbrüche" knüpft die Ausstellung an die Reformation vor 500 Jahren und den revolutionären Impuls, den die Religion gab, an. Im Gestaltungsprozess der sieben ausstellenden Künstler entwickelten sich persönliche Statements, bildliche Gefühlsausbrüche, Zweifelndes, Fragendes, Hoffendes, und Seelenbilder. "Anbrüche und Abbrüche wurden zu Aufbrüchen", sagte Raschko, der die Arbeiten der einzelnen Künstler skizzierte.

Zur Ausstellung wurde ein Rahmenprogramm konzipiert. Am 17. Oktober ab 19 Uhr stellen die sieben Ausstellenden in einem Künstlergespräch ihre Werke persönlich vor. Am 31. Oktober ab 19 Uhr werden Dieter Raschko (Wort) und Martin Hagner (Musik) die Ausstellung unter dem Motto "So gesehen!" interpretieren. Literarische Kostproben zu "Anbrüche – Abbrüche" von Uli Rothfuss stehen am 7. November ab 19 Uhr auf dem Programm. "Jazz und Kirche" ist der Titel eines Abends mit dem Ensemble "Achim Olbrich and Friends" am 27. November ab 20 Uhr. Darüber hinaus ist die Kirche tagsüber geöffnet und die Ausstellung zugänglich.