Hartmut Radebold Foto: privat Foto: Schwarzwälder-Bote

Viele Kinder von damals noch immer traumatisiert / Vortrag des Psychoanalytikers Hartmut Radebold

Calw-Heumaden. Welche lebenslangen, individuellen und familiären Folgen hat eine Kindheit im Zweiten Weltkrieg? Mit dieser Frage beschäftigt sich Hartmut Radebold in einem Vortrag im evangelischen Gemeindehaus Heumaden am Dienstag, 5. Mai, ab 19.30 Uhr.

Der Psychologe bricht damit ein großes Schweigen. Schweigen, das man in Kauf nahm, um "zu funktionieren". Doch dieses Funktionieren hat seinen Preis. Die Evangelische Erwachsenenbildung nördlicher Schwarzwald lädt dazu ein, sich mit Familiengeschichten zu befassen.

Die Schrecken des Krieges, die Qualen dieser "Geschichte des Leides", insbesondere für Kriegskinder, wurden lange verschwiegen. Radebold, selbst 80 Jahre alt und somit Zeitzeuge der Generation, über die er spricht, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Schweigen zu brechen. Doch das war kein leichter Weg.

"Meine Forschung über die Folgen des Krieges für Kinder und Jugendliche ist lange von großen Anfeindungen begleitet gewesen", meint der Referent. "Wie können Sie es wagen, als Deutscher darüber zu forschen?", sei eine der häufigsten Vorwürfe gewesen.

Doch der Psychoanalytiker hat sich nicht abbringen lassen. Das Schweigen über das Leid wollte er nicht dulden. Denn obwohl der Krieg nun seit fast 70 Jahren vorbei ist, sind seine Folgen noch immer spürbar.

Radebold zitiert oft eine Aussage der Buchautorin Katja Thimm: "Der Zweite Weltkrieg tobt zurzeit in deutschen Altenheimen." Nach seiner Erfahrung sind die Kinder von damals heute alt, doch viele leiden immer noch am großen Trauma der Kriegszeit. Sie leiden nicht nur, weil die Erinnerungen unauslöschlich sind, sondern auch, weil sie, wie die meisten ihrer Zeit, darüber geschwiegen haben.

"Kriegskinder sind oft depressiv", sagt Radebold. "Viele haben das Gefühl, ›da ist noch was liegengeblieben‹." Zwar sei die Reise in die Vergangenheit oft schmerzvoll, doch die Aufarbeitung des Verdrängten könne vielen seelisch helfen – auch jenen noch, die über 70 sind.

Viele verdrängen das erlebte Grauen der NS-Zeit, blenden auch das Leiden der eigenen Eltern aus, um weitermachen zu können. Radebold, der als einer der renommiertesten Altersforscher Deutschlands gilt, meint, dass latente Ängste auf die nachkommenden Generationen weitergegeben werden können – das Trauma der Kriegskinder kann zum Familientrauma werden.

"Es geht um die Rückeroberung der Gesprächsfähigkeit", sagt Reinhard Kafka, Geschäftsführer der Evangelischen Erwachsenenbildung, der anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes nach Calw eingeladen hat. "Die Zahl ist erschreckend: Über 80 Prozent der Kriegskinder haben nicht über ihr Leid gesprochen", so Kafka

Radebold wird sich bei seinem Vortrag bemühen, hinter die große Sprachlosigkeit zu blicken, die Krieg, Flucht und Vertreibung hinterlassen haben.

Der Wissenschaftler geht der Frage nach, welche Möglichkeiten es heute gibt, den betroffenen Älteren selbst und der nachfolgenden Generation zu helfen.

Die Veranstaltung im Gemeindehaus in der Wielandstraße 12 findet in der gemeinsamen Reihe "Erinnern" der Stadt Calw, der Volkshochschule Calw und der Evangelischen Erwachsenenbildung nördlicher Schwarzwald statt.

Weitere Informationen: Telefon 07051/1 26 56; www.eb-schwarzwald.de; Eintritt fünf Euro.