Foto: Schwarzwälder-Bote

Da sitzt die Tochter eines Gemeinderats während der Sitzung im Foyer

Da sitzt die Tochter eines Gemeinderats während der Sitzung im Foyer des Hirsauer Kursaals. Während der Papa im Sitzungssaal sich den Kopf über ein langfristiges Stadtentwicklungskonzept zerbricht, erledigt die Abiturientin derweil ihre Schularbeiten.

Fürwahr ein seltsamer Ort für ein solches Tun. Der Grund: Die junge Dame hatte abends einen Arzttermin. Weil sie nach 19.15 Uhr nicht mehr von Calw in ihren Wohnort Altburg kam, wartete sie, Hausaufgaben machend, das Ende der Sitzung ab.

Oft sind es kleine Begebenheiten, die darauf hindeuten, wo die Probleme liegen. Ländliche Regionen verlieren zunehmend junge Menschen. Der Kreis Calw steht mit an der Spitze dieser Entwicklung. Der Trend in die Zentren ist unverkennbar. Ein funktionierender Nahverkehr ist dabei nur ein Mosaikstein.

Natürlich gilt es, sich Gedanken zu machen, wie es in einer Stadt in ein paar Jahren aussehen soll. Man muss es ja nicht gleich so drastisch ausdrücken wie Altkanzler Helmut Schmidt, der Visionären einen Arzt-Besuch empfiehlt. Letztlich sollte trotz aller Zukunftsplanungen die Gegenwart nicht vergessen werden. Da haben, wie die Abwanderung der Jungen zeigt, Prozesse begonnen, denen schnell entgegen gewirkt werden muss. Da ist man bei einem Punkt, der sich wie ein roter Faden durch die Präsentation der drei Büros zog: die demografische Entwicklung.

Wir werden weniger, älter, damit reifer, aber auch mobiler. So lauteten die Stichworte des Stuttgarter Büros Netzwerk, das letztlich den Zuschlag erhielt. Dabei wird es nicht damit getan sein, sich als familienfreundliche Kommune zu präsentieren. Das tun andere auch. Deutlich wurde, dass eine Stadt in einem zunehmenden Wettbewerb mit anderen Kommunen weitere Aspekte einbeziehen muss, um sich zu profilieren. Etwa den Erfahrungsschatz der Älteren zu nutzen. Die Netzwerk-Betreiber Thomas Sippel und Timo Buff sehen in diesem Zusammenhang neue Chancen für das Ehrenamt.

Ein Blick in die Referenzlisten der Bewerber zeigt, wie weit andere Städte mit ihren Konzepten sind. Es wird somit für Calw höchste Zeit, in die Gänge zu kommen. Man hätte das alles schon früher haben können. Sippel war vor ziemlich genau einem Jahr in der Aula und präsentierte seine Vorstellungen von Bürgerbeteiligung und Stadtentwicklung.

Verwaltung und Gemeinderat werden rasch zeigen müssen, wie ernst es ihnen mit der Einbindung der Bürger ist. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, das erst die Oberbürgermeisterwahl in knapp einem Jahr, zumindest seitens der Stadt, zu einem Sinneswandel geführt hat. Die Bürgerinitiative "Unser Calw" war schon seit Langem mit solchen Anliegen an die Öffentlichkeit gegangen. Damals hatte OB Manfred Dunst noch nach Kräften versucht, diese Gruppierung auszubremsen.

Die Bürger wollen sich verstärkt einbringen. Dass sie das tun, zeigt die Erfahrung der drei Planungsbüros und auch der erfreuliche Zuspruch, den die erste Bürgerwerkstatt in Calw zur Südostumfahrung gefunden hat. Angesichts der anstehenden Probleme kann es nur gut tun, wenn sich die Bevölkerung verstärkt einbringt. Das bedeutet zugleich mehr und nicht weniger Arbeit für Gemeinderat und Verwaltung. Deshalb ist auch die zusätzliche Stelle vertretbar.

Zugleich gilt es, das Alltagsgeschäft nicht zu vergessen. Wer Menschen über Wochen zumutet, nahezu 90 Stufen hinauf zu keuchen, um den Bahnsteig zu erreichen, nur weil man nicht in der Lage ist, den Aufzug instand zu halten, sollte sich nicht allzu lange mit Visionen aufhalten.