Herbert Schnierle-Lutz (links) führte auf den Spuren der Erzählung "Der Zyklon" durch Calw. Foto: Selter-Gehring Foto: Schwarzwälder-Bote

Lesesommer: Auf den Spuren von Hesses Gerbersauer Erzählung "Der Zyklon" / Historisch verbürgt

Mit dem Hesse-Kenner, Autor und Literaturpädagogen Herbert Schnierle-Lutz machten sich 25 interessierte Zuhörer auf Spurensuche zu Hermann Hesses Erzählung "Der Zyklon".

Calw. Die detaillierte Beschreibung der Schauplätze in diesem Werk ermöglichte es, dem Inhalt während eines Spaziergangs nachzugehen und so ganz dicht den Wettersturm, der sich in der Erzählung mit einem Liebessturm verknüpft, nachzuvollziehen. Hesse schrieb die autobiografische Erzählung aus seiner Erinnerung 1907.

Literarischer Spaziergang

Der Weg des literarischen Spaziergangs führte vom obersten Parkdeck des Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB) über das Hengstetter Gässle in unbekannte Gefilde und zahllose Treppenstufen hinauf zum Hohen Felsen und von dort in einem weiten Schwenk wieder hinunter Richtung Brühl. Der Ausgangspunkt war gut gewählt, da von hier der Blick auf das Wohnhaus frei wurde, in dem die Familie Hesse 1895 lebte, als jener Wettersturm, den Hermann Hesse später in seiner Erzählung "Der Zyklon" beschrieb, über das literarische Gerbersau, also Calw, hereinzog.

"Das geschah am 1. Juli 1895, genau einen Tag vor Hermann Hesses 18. Geburtstag", nahm Schnierle-Lutz die Zuhörer mit hinein in das Geschehen, das durch reale Präsenz der Schauplätze umso eindrücklicher wurde. Historisch verbürgt ist darüber hinaus, dass tatsächlich die Stadt Calw an jenem 1. Juli 1895 von einem Gewitter mit Hagel und extremen Drehwinden heimgesucht wurde, die große Verwüstungen hinterließen, zahlreiche Dächer abdeckten und Fensterscheiben zu Bruch gehen ließen.

Schwülwarmer Tag

Mit Passagen aus Briefen, die Hesse nach dem Wetterereignis an einen Freund und seine Mutter schrieb, belegte Schnierle-Lutz das Geschehen. "Hermann Hesse machte zu jener Zeit ein Mechaniker-Praktikum in der Perrotschen Turmuhrenwerkstatt", so Schnierle-Lutz. Er hatte sich jedoch an der Hand verletzt, musste nicht zur Arbeit und konnte daher an diesem zunächst schwülwarmen Tag spazieren gehen.

Nachdem er zu Hause zu Mittag gegessen hatte, machte er sich mit dem Angeleimer erneut auf den Weg, den er in "Der Zyklon" so genau beschrieb, dass die heutigen Spaziergänger ihm, auch wenn heute vieles verändert ist, mühelos folgen konnten.

Sein Ziel war die Nagold im Bereich der Deckenfabrik, die er auf Umwegen schließlich erreichte, und wo er nicht nur den Gewittersturm erlebte, sondern durch die Begegnung einer jungen Fabrikarbeiterin zugleich einen Sturm der Gefühle. In der Êrzählung wird das Naturgeschehen zur Metapher des körperlichen und seelischen Empfindens des Ich-Erzählers.

Passend herrschten während des literarischen Spaziergangs ebenfalls schwülwarme Bedingungen, die die Teilnehmer beim Anstieg zum Hohen Felsen ordentlich ins Schwitzen brachten. Ein Unwetter blieb am Ende aber aus.