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Restmüllheizkraftwerk: Trotz Rekordzahlen: Im Kreis Calw denkt man laut über einen Ausstieg aus dem Zweckverband nach

Im Landkreis Calw denkt man mittlerweile offen über einen Ausstieg aus dem Zweckverband Restmüllheizkraftwerk Böblingen (RBB) nach. Insider monieren hinter vorgehaltener Hand jahrelanges Missmanagement an der Verbandsspitze und eine verfehlte Personalpolitik. Das Risiko trägt der Gebührenzahler.

Calw/Böblingen. RBB-Geschäftsführer Wolf Eisenmann ist ein Mann, der gerne in Superlativen schwelgt: Der Zweckverband könne "absolute Bestmarken" vermelden und mit "Rekordzahlen trumpfen", ließ er Anfang des Jahres verlauten und verwies auf 167 340 Tonnen Müll, die 2016 in Böblingen verbrannt wurden – so viel wie noch nie. Eisenmann fand die Zahlen schlichtweg "beeindruckend".

Drei Wochen vor Eisenmanns Effizienzhymne zeichnete der CDU-Fraktionschef Jürgen Großmann in seiner Haushaltsrede vor dem Calwer Kreistag indes ein anderes Bild. Man müsse das "Kostenrisiko" bei dem Böblinger Kraftwerk im Auge behalten: "Wir haben ein Gebührenrisiko, das wir nicht steuern können." Großmann hätte "kein Problem, wenn wir Böblingen, Stuttgart und Freudenstadt mit dem Thema alleine lassen würden." Der CDU-Fraktionschef plädierte damit offen für den Ausstieg aus dem Zweckverband, wollte aber – auch auf Nachfrage – sich nicht weiter über die Hintergründe seiner Exodusgedanken äußern. Aber warum aus einem Verband aussteigen, der laut Geschäftsführung wirtschaftlich von Rekord zu Rekord eilt? Und ist ein solcher Ausstieg überhaupt möglich? Macht er Sinn?

Zu dem heiklen Thema äußert sich niemand gern

Es ist ein heikles Thema, über das sich auch gut informierte Kommunalpolitiker ungern offen äußern. Nicht erst seit den Hesse-Bahn-Plänen ist das Verhältnis zwischen den Kreisen Calw und Böblingen angespannt. Im RBB sitzen die Calwer als kleinerer Partner mit den Nachbarn, die mit 51 Prozent die Mehrheit inne haben, schon seit 1998 gemeinsam im Boot. Calw hält an dem Verband so viel wie der vertraglich vereinbarte Anteil des angelieferten Mülls: 22,3 Prozent, umgerechnet 29 900 Tonnen jährlich. Aber nur die Hälfte dieser Abfallmenge kommt aus dem Kreis Calw selbst, 15 500 Tonnen steuert Pforzheim bei, das ohne eine Mitgliedschaft im Verband sich damit die Abnahme seines Restmülls sicherte.

Nach Recherchen unserer Zeitung profitieren die Gebührenzahler indes nicht davon, wenn ihr Landkreis RBB-Anteile hält – im Gegenteil. Das Böblinger Restmüllheizkraftwerk gilt zwar als High-Tech-Anlage, die die strengen deutschen Immissionswerte um das Zehnfache unterschreitet, aber diese teure Abgasreinigung sorgt neben einer sauberen Böblinger Luft bei den Anteilseignern seit Jahren für Verdruss. Ende des vergangenen Jahrzehnts lag der Benchmark, also die Bestmarke der Wettbewerber, bei 100 Euro pro verbrannter Tonne. Eine Marke, von der das Böblinger Kraftwerk weit entfernt war: mit mehr als 160 Euro Verbrennungskosten. Die Rechnung dafür zahlte jahrelang der Gebührenzahler. Ein Millionen-Verlustgeschäft, aus dem man nicht aussteigen konnte. Ein Zweckverband ist fester verbunden als eine Ehe. Eine Scheidung bedürfte eines einstimmigen Beschlusses. Und wer kauft schon Anteile einer Anlage, die mit den Wettbewerbern nicht mithalten kann?

Rottweil profitiert – ohne RBB-Anteile

Dass man auch ohne RBB-Anteile von der Marktlage profitieren kann, zeigt das Beispiel des Landkreises Rottweil, der sich auf zehn Jahre verpflichtet hat, 10 000 Tonnen per anno in Böblingen anzuliefern. Die Rottweiler griffen auf dem sogenannten Spotmarkt zum Preis von 93 Euro pro Tonne zu.

Der Calwer Gebührenzahler zahlt – indirekt – in der "eigenen" Anlage für die gleiche Leistung das Anderthalbfache. Aufgrund des deutschlandweiten Überangebots an Müllmengen haben auch die Verbrennungspreise in jüngster Zeit angezogen und liegen im Schnitt bei 120 bis 130 Euro pro Tonne. RBB liegt nach wie vor 20 Prozent drüber.

Gründe für diese mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Böblinger Anlage sehen Kritiker vor allem im Missmanagement und in der misslungenen Personalpolitik an der RBB-Spitze. Voran in Wolf Eisenmann, früherer Erster Landesbeamter, der den Posten des RBB-Geschäftsführers jahrelang zusätzlich erledigte und an dem der Böblinger Landrat Roland Bernhard auch nach dessen Pensionierung als Landesbeamter eisern festhält. Eisenmann verkörpere das Problem, sagt ein Insider: "Der Fisch stinkt vom Kopf her".

Vor allem Fehlbesetzungen bei den Stellen der Betriebsleiter unter Eisenmann hätten in dem ansonsten motivierten Team zu Störungen des Betriebsklimas geführt – und zu einer auffälligen Zunahme von Krankmeldungen. "Das Rumgeeier in der Führung schlägt auf die Stimmung", sagt ein Eingeweihter. Selbst Bernhard habe mal nach einer verpatzten Personalauswahl hinter verschlossener Tür kleinlaut eingestehen müssen, dass man wohl einer "Pfeife" aufgesessen sei. Vor zwei Jahren wollte er es besser machen – und forderte einen Spitzenbeamten im Calwer Landratsamt auf, für die Stelle des kaufmännischen RBB-Betriebsleiters zu kandidieren – und ließ ihn dann bei der Abstimmung fallen. Eine Stimme fehlte dem Calwer – der große Partner Böblingen hatte sich auf die Seite des Gegenkandidaten gestellt. Der Gewählte hat offenbar keine Freude an seinem Amt – und soll jüngst nichtöffentlich mit dem Abgang geliebäugelt haben.

Aber Wolf Eisenmann, mittlerweile 70 Jahre alt, soll bleiben, wenn es nach dem Böblinger Landrat geht – wenn nicht als Geschäftsführer, so doch zumindest als sein RBB-Berater. Zähneknirschend haben die Verbandsvertreter bei Eisenmann angeblich neben der Übernahme des früheren Dienstwagens auch einen vierstelligen monatlichen Obolus für seinen Pensionsnebenjob hingenommen, aber letztlich – sagen Kritiker – blockiere er selbst seine Nachfolge. Arg viel länger will man dem Treiben auch nicht mehr zusehen: "Man muss sofort einen Geschäftsführer suchen", fordert ein Insider. Headhunter sind bereits auf der Suche nach einem Geschäftsführer für den technischen Bereich.

US-Leasing "ein Schuss in den Ofen"

Ob neue oder alte Führungsriege – ein Erbe bleibt ihnen erhalten: Millionenverluste aus einem US-Leasinggeschäft. Auch RBB hatte sich vor Jahren – wie viele andere Kommunen auch – auf dieses dubiose Steuersparmodell eingelassen. Ein steuerlich kompliziertes Konstrukt, in das nicht einmal der Kreistag Einblick nehmen durfte und mittlerweile verboten wurde. Schon vor dem US-Deal hatte man die ganze Anlage im Wert von 90 Millionen Euro über ein weiteres Leasingmodell finanziert. Das brachte zwar keine Verluste ein, aber man zahlt noch bis ins Jahr 2023 daran ab.

Wenn die letzten Raten wegfallen, hofft ein Sachkenner, gibt es vielleicht "mehr Luft", um die Verbrennungskosten zu senken – womöglich auf unter 100 Euro. "Jahrelang hat man draufgelegt im Vergleich zum freien Markt", sagt er, "jetzt wäre es der falsche Moment zum Ausstieg".

Mit den Calwer Austrittsgedanken und den Vorwürfen der Kritiker konfrontiert, sagte der Pressesprecher des Landkreises Böblingen, Dusan Minic, gestern eine Stellungnahme zu. Eine Antwort blieb bis Redaktionsschluss aus.