Stellten sich dem Plenum in der Abschlussdiskussion beim Fachtag "Menschen mit Autismus" (von links): Moderator Matthias Clesle, Stefan Müller-Teusler vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, Christian Frese vom Verein "autismus Deutschland", Horst Lipinski, Abteilungsleiter Soziale Hilfen im Calwer Landratsamt, und Susan Rennefeld, GWW-Fachfrau für Autismus. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Fachtagung: Widersprüchliche Gesetzeslage erschwert die Betreuung

Von Axel H. Kunert

Calw-Stammheim. "Autismus hat auch etwas Mystisches. Das fasziniert und interessiert die Menschen." Christian Frese ist Geschäftsführer des Verbands "autismus Deutschland". Er kam zum ersten gemeinsam mit der GWW und dem Kreis Calw organisierten Fachtag zum Thema Autismus in den Nordschwarzwald.

Rund 70 Interessierte aus der Region waren der Einladung ins neue Werk 2 der GWW auf dem Stammheimer Feld gefolgt, um sich in Vorträgen, Workshops und Diskussionen mit der Situation von Autisten in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Wobei die Teilnehmer aus Sozialeinrichtungen wie der GWW stammten, aus Behörden, aber auch als Angehörige und Betroffene sich für den Informations- und Erfahrungsaustausch angemeldet hatten.

"Autisten benötigen in der Betreuung einen besonders hohen Aufwand", erklärt Horst Lipinski, Abteilungsleiter Soziale Hilfen im Calwer Landratsamt. Rund ein bis zwei Prozent der Menschen in der sozialen Betreuung haben diesen hohen Unterstützungsbedarf; bei rund 1200 Betreuungsfällen insgesamt im Kreis Calw macht das ein bis zwei Dutzend Personen aus, berichtete Lipinski.

Selbstbestimmtes Leben

Ziel der Betreuung sei es, Autisten ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu ermöglichen. Die Teilhabe an der Gesellschaft eben. Dafür werden je nach Schwere der autistischen Störung der Betroffenen ambulante, aber auch stationäre Betreuungsplätze benötigt. Bis hin zur 1:1-Betreuung bei besonders schweren Fällen. Für den Kreis Calw sei man, so Lipinski, sehr gut aufgestellt mit den jüngst fertiggestellten Wohnplätzen. Landesweit aber kämpfe man noch mit der Aufarbeitung großer Komplexeinrichtungen", die in den 1950er- und 1960er-Jahren geschaffen worden seien. Und die heute nicht mehr dem Ziel in der Betreuungsarbeit entsprächen.

Tatsächlich sei es so, dass Wissenschaft und Betreuungswesen die besonderen Bedürfnisse von Autisten gerade erst zu verstehen beginnen. Das fange bei der rechtssicheren Definition an, was Autismus eigentlich sei, so Jurist Christian Frese. Denn das "Autismus-Spektrum" sei vielfältig, die Übergänge je nach Schweregrad und damit verbundenen Betreuungsaufwand oft schwierig zu definieren. Weshalb, wie auch im Rahmen der Abschluss-Diskussion beim Calwer Fachtag deutlich wurde, man es in der Betreuung noch mit oft widersprüchlichen Gesetzeslagen bis hin zum "totalen rechtlichen Irrsinn" zu tun habe, wie es GWW-Geschäftsführerin Andrea Stratmann ausdrückte. Ihr Beispiel: Eine Kostenübernahme für Personen mit autistischen Störungen in der Betreuung gibt es von den Sozialkassen derzeit nur, wenn eine gutachterliche "Prognose" über die Eingliederungsmöglichkeiten, etwa ins Berufsleben, vorliegt. Allerdings kann solch ein Gutachten, nur in der Betreuung selbst kompetent erstellt werden – wofür man die Ausgangsförderung wiederum brauche.

"Rainman" nicht typisch

Um "Sand aus dem Getriebe" zu bringen und einen Bewusstseinswandel einzuleiten, dazu dienten Veranstaltungen wie dieser erste Fachtag. Denn allgemein genieße Autismus seit Hollywood-Filmen wie "Rainman" oder "Das Mercury-Puzzle" in der Gesellschaft bereits eine hohe Aufmerksamkeit. Wobei, wie Steffen Müller von der GWW-Unternehmenskommunikation erläutert, "›Rainman‹ einer der eher softeren" Autismus-Fälle sei. Auch um die sogenannten "Savants" (Wissende), Menschen mit extremen Inselbegabungen, gehe es in der Betreuung sehr selten. Da gelte es Missverständnisse auszuräumen. Und einfach die Realität im Betreuungsalltag aufzuzeigen – abseits des vielleicht vordergründig "Mystischen und Faszinierenden" am Autismus.