Der Gerbersauer Lesesommer fand ein beeindruckendes Ende. Daran beteiligt waren (von links): Florian Ahlborn, Herbert Schnierle-Lutz, Martina Volkmann, Christoph Kieser und Martin W. Hagner. Foto: Stöß

Beeindruckender Abschluss zum 55. Todestag des Literaturnobelpreisträgers. Von brillanten Musikern begleitet.

Calw - Am 55. Todestag Hermann Hesses fand der Gerbersauer Lesesommer ein ebenso beeindruckendes wie nachhaltig wirkendes Ende. So, wie sie am 2. Juli in der Hirsauer Marienkapelle begonnen hat: Dem Anlass entsprechend mit hoher Würde ausgestattet. Für die Veranstaltung in der Calwer Stadtkirche, in der 1891 ein 14-jähriger Hermann Hesse konfirmiert worden ist, ist es dem konzipierenden Herbert Schnierle-Lutz abermals gelungen, eine brillante Mischung aus Lesung und Musik für das zahlreich erschienene Publikum zusammenzustellen. Vier Künstler auf ihren Gebieten sorgten für dieses Qualitätssiegel.

Eine perfekt stimmige Einheit

Martina Volkmann und Florian Ahlborn beeindruckten mit dem gesprochenen Wort. Beide ließen erkennen, dass Sprache, richtig ausgedrückt, Musik sein kann. Martin W. Hagner (Orgel/Klavier) und Christoph Kieser (Querflöte) verdienten Bewunderung für ihre Musikthemen und -interpretationen zwischen den Lesungen. Volkmann, sie studierte Sprechkunst, gefiel mit ihrer außergewöhnlich wohltuenden Stimme. Mit dem Gespür für die jeweils geschilderte Situation bildete sie mit dem Diplom-Spracherzieher Ahlborn und dessen klarer und fester Betonungskunst eine perfekt stimmige Einheit.

In die Texte, Gedenkblätter, Gedichte und Erzählungen wurde durch das lesende Paar Leben eingehaucht. Durch Einfühlungsvermögen wurde es für die Zuhörer zu einem aufwühlenden und beeindruckenden Erlebnis, dem letzten Spaziergang Hesses am 8. August 1962 beizuwohnen. Man konnte sich in die Situationen hineinversetzen. So, als ob man dabei gewesen wäre.

Ninon, Hesses Ehefrau, gab später zu Protokoll, Hermann Hesse bei diesem Rundgang nochmals heiter, gelassen und lebensfroh erlebt zu haben. Wieder wollte er Reisig für sein geliebtes Gartenfeuer sammeln. Wieder riss er an einem trockenen Ast der Robinie. Um, wie oft, festzustellen: "Er hält noch."

Am Vor-Todestag, nicht wissend, dass er morgen sterben würde, fand Ninon ein Gedicht in ihrem Zimmer. Auf Ninons Ansprache an ihren Ehemann"das ist das schönste Gedicht" lächelte der alte Hesse: "Dann ist ja gut." Das Gedicht "Knarren eines geknicktes Astes" endet: "Klingt trotzig, klingt heimlich bang, noch einen Sommer lang, noch einen Winter lang." Es zeigte sich, es dauerte keinen Sommer, keinen Winter, keinen Tag mehr. Hesse und seine Ninon hörten noch im Abendprogramm des schweizerischen Radiosenders Beromünster Mozarts Sonate Nr. 7 C-Dur, bevor sie zur Nachtruhe gingen. Hermann Hesse starb am 9. August 1962 in der Frühe. Unbemerkt im Schlafe und wohl ohne zu leiden. Ohne es jemals gewusst zu haben, war er schon länger an Leukämie erkrankt. Sein Arzt, verschonte ihn mit dieser Wahrheit und spendete Hesse das, was dieser am meisten benötigte: Zuversicht.

Detaillierte Berichte von der Beerdigung

Detaillierte Berichte vom Tag der Beerdigung am 11. August 1962 verhalfen den Calwer Lesesommergästen in der Stadtkirche zu einem gedanklichen Ausflug nach San Abbondio an die Ostwand des dortigen Friedhofs. Die Journalistin Charlotte von Dach überraschte, in dem sie in ihrem Bericht über die Beisetzung nicht von stumpfer Trauer sprach, sondern von einer "eher stillen Heiterkeit". Sie folgte damit Hesses Sinn.

Der Calwer Stadtrat Richard Bauer, als Vertreter des Bürgermeisters, kondolierte damals am Grab: "Die alte Stadt im Schwarzwald will sich bemühen, das Vermächtnis und das Andenken des großen Verstorbenen an die kommenden Generationen weiterzugeben. Wir wollen sammeln und bewahren, was uns an sichtbaren Erinnerungen geblieben ist und uns bewegen lassen von seinem hinterlassenen Werk." Man kann vermuten, dass damals, 1962, die Stadt Calw noch nicht vollständig im Reinen mit ihrem berühmten Sohn war.

Gedenkblätter über Verstorbene

Hesse trug zeitlebens beide Themen mit sich. Das Leben und den Tod. Als sein jüngerer Bruder Hans 1935 aus dem Leben schied, als dieser die Lebenslast nicht mehr zu tragen vermochte, war das Thema Tod noch präsenter. Hermann Hesse verfasste, nicht nur hier, Gedenkblätter über Verstorbene. Die persönlich ihn zu Herzen gehende Geschichte seines jüngeren Bruders Hans, dessen Qualen in der Knabenzeit, die Tyrannei durch die Lehrer in der Calwer Lateinschule (Schläge mit dem Schlüssel auf den Kopf und fortwährende psychische Demütigungen) bekam die Lesesommgefolgschaft in der Kirche in drei aufwühlenden Teilen dargeboten.

Hans war einer, der sich beim Spielen seiner Violine selbst vergessen konnte. Er kam einem Genie nahe. Doch man ließ ihn nicht seine eigene Welt schaffen, zu wachsen. So wie es jedem Kind ein Bedürfnis ist, zu wachsen. Das Bild von Hans, deutlich geduckt und der Kopf zwischen die Schulter gezogen, ließ Hermann nie mehr los. Dass Hermann den Hans letztendlich nicht retten konnte, ja, dass er nicht einmal die Zeichen dieser Dramatik erkannt hatte, ließ ihn im Gewissen nie mehr los. Es tat ihm später weh, Hans nicht unterstützt, ihn sogar einmal selbst gedemütigt zu haben. Mit seinen, nach dem Tod von Hans niedergeschriebenen Ausführungen fleht so Herrmann letztendlich um Verzeihung.

Ergreifend deutlich wurde, wie die Kinder einerseits unter dem strengen, vom Pietismus geprägten Elternhaus litten. Andererseits fühlten sie deren Liebe und liebten die Eltern für deren Zuwendung, deren Sinn nach Bildung sowie deren musischen und spielerischen Gaben.

Umrahmt wurde der Abend von zwei brillanten Musikern. Stücke von Georg Philipp Telemann und Johann Sebastian Bach wurden dramaturgisch eingearbeitet. Die Querflöte des Christoph Kieser hallte sanft im mächtige Schiff der Stadtkirche nach. Sein kongenialer Partner an diesem Abend, Martin W. Hagner, imponierte mit Orgel- und Klavierspiel. Das letzte von Hesse gehörte Musikstück, die Sonate von Mozart, spielte Hagner auf dem Klavier. Er ließ das Publikum Hermann Hesse noch einmal sehr nahe kommen.