Bauernschläue und Russenwitz: der Hofreiter und der Wladimir verstehen sich. Fotos: Becker Foto: Schwarzwälder-Bote

Lindenhof-Premiere: Dietlinde Ellsässer hält mit ihrem neuen Mundart-Stück auch dem Publikum einen Spiegel vor

Von Erika Rapthel-Kieser

Dietlinde Ellsässers Stück "Der Feierabendbauer" mit Berthold Biesinger in der Hauptrolle ist eine harsche Abrechnung mit Bürokratismus, Verbrauchergeiz und dem Wegbrechen ländlicher Kultur. Die Uraufführung stieß im Saal des Lindenhoftheaters in Melchingen auf große Resonanz.

Burladingen-Melchingen. Am Ende stimmt Karl Hofreiter mit den Füßen ab. Er verkauft seinen letzten Acker und verlässt seinen Hof – zieht weg mit seinem Leiterwägelchen von einer Agrarindustrie, die ihm in den letzten Jahren das Leben sauer gemacht hat und sucht sein Glück in der Ferne. "In die Welt hineingehen, bis das Weh vergeht."

Berthold Biesinger spielt den resignierten Aussteiger mal mit hochrotem Kopf und zornig gereckter Faust, mal mit himmelwärts gerichtetem Blick als wehmütig Trauernder und nachdenklicher Sucher. Seine Bühnenpräsenz und Ausdrucksstärke sorgen dafür, dass die 70 Minuten Bauernmonolog mit Musik im Fluge vergehen.

Laut schimpfend betritt dieser Karl Hofreiter die Bühne, lässt sich aus über Bürokratenfuzzis und Kirchturmpolitiker in Brüssel, die die wahren Schädlinge seien. Er schilt über Melde- und Kontrollvorschriften, Düngevorgaben und Pflanzenschutzbestimmungen, die dazu führen, dass der Bauer mehr Zeit am Schreibtisch als auf dem Feld verbringt. Und er geht auch rigoros sein Publikum an: "Ihr kennt den Preis aber nicht den Wert von ebbes", schleudert er ihnen entgegen und fragt sie, was sie denn erwarten, wenn sie nur 17 Cent für 100 Gramm Hähnchenschlegel zahlen wollen. "Der Verbraucher muss mehr Geld für regionale Produkte ausgeben und nicht an einer krummen Gurke rummeckern", sagt dieser Karl Hofreiter.

"Wer den Tieren gut begegnet, wird von seinem Herrn gesegnet", war immer dieses Bauern Credo. "Natürlich bin ich fürs Tierwohl – aber wer ist für mein Wohl?", beschreibt er, wie ein Bauer sich fühlt, der alleingelassen wird mit dem Wandel, einer, der nicht länger nur erfolgsorientiert sein will auf Kosten der Qualität.

Früher, da sei eine Kuh 13 Jahre alt geworden, erzählt er dem Publikum. Inzwischen, so Hofreiter, gäbe es die Holsteiner Turbokuh mit 10 000 Liter Jahresleistung, die zur Miss Germany gekürt wurde und nach sechs Jahren reif ist für den Schlachter. Verbraucht. Wie der Boden und die Menschen, die auf ihm wirtschaften.

Begleitet wird Karl Hofreiter ein Stück seines Wegs von Wladimir, gespielt von Victor Oswald. Der untermalt Hofreiters Klagelieder auf seinem russischen Knopf-Akkordeon mal mit Moll-Akkorden und slawischen Ohrwürmern, mal mit swingender Tanzmusik, und er gibt auf Russisch seinen Senf zu Hofreiters flammenden Appellen dazu. Dem Karl gefällt das: "Das Fremde macht doch oft a Stub’ voll Freud", kommentiert er die Begegnung mit dem fröhlichen Wladimir, über dessen Russenwitz er einfach lachen muss – auch wenn er ihn nicht versteht, und mit dem er Schnaps, Brot und Wurst teilt.

Aber: Der Feierabendbauer schwankt zwischen Resignation und Kampfeslust. Dietlinde Ellsässer lässt ihn an einer Stelle gar an einen neuen Bauernkrieg denken: "Mit der Mistgabel gehört da mal reigstoche", schimpft er gen Brüssel und Berlin gewandt.

Dass ob so viel Modernisierung und Wandel viel Gutes auf der Strecke bleibt, auch das hat Hofreiter wohl gesehen. Die Menschen "schwätzet nimmer mitenander. S’ hot ja koiner meh Zeit". Und statt den Feierabend zu zelebrieren, sitze man vor der Glotze und sehe "Bauer sucht Frau".

"Kann man sich denn so zum Affen machen?", kommentiert Karl die Gier nach Quote, während er sich fremd schämt für seine Kollegen. Das Publikum steckt die Kritik weg – bleibt nachdenklich zurück und ist wohl froh darüber, dass nicht noch mehr ihrer Lebensmittelproduzenten einfach das Leiterwägelchen packen.