Der blinde Eduard Hirlinger öffnete den Lindenhof-Schauspielern die Augen für die Welt der Molly Sweeney

Von Erika Rapthel-Kieser

Burladingen-Melchingen. Gäbe es so etwas wie Dauerkarten im Theater Lindenhof in Melchingen – Eduard Hirlinger und seine Lebensgefährtin Monika Boley hätten sie. Und das, obwohl der 53-Jährige blind ist.

Kaum ein neues Stück, das sie nicht besuchen, kaum ein Gastspiel, in dem sie nicht in der ersten Reihe vor der Bühne sitzen. Das mag nichts Außergewöhnliches sein, wenn man in Melchingen aufgewachsen ist, den Lindenhof von Beginn an kennt und nur ein paar Meter vom Musentempel entfernt wohnt. Und doch ist es sehr ungewöhnlich. Denn Eduard Hirlinger ist blind.

Hirlinger wurde sehend geboren. Als er sechs Jahre alt war, machten sich die ersten Probleme bemerkbar, zuerst nur mit dem Sehen in der Dunkelheit. In Tübingen stellten die Ärzte schließlich fest, dass der junge Mann an "Retinitis pigmentosa" litt, einer fortschreitenden Zerstörung der Netzhaut im Auge.

Krankheit war nicht aufzuhalten

Ein Grafik-Studium, so riet ihm ein Arzt, strebe er besser nicht an Eduard Hirlinger wurde Industriekaufmann, gründete eine Familie, bekam zwei Töchter und versuchte, so lange wie möglich ein normales Leben zu führen. Aber die Krankheit verschlimmerte sich schubweise, Gesichtsfeldausfälle häuften sich, Hirlinger litt mehr und mehr am sogenannten Tunnelblick.

Seit 1990 ist Eduard Hirlinger praktisch blind, erwerbsunfähig und berentet. 2004 hat sich seine Frau von ihm getrennt. Seine Liebe zum Theater entdeckte er mit seiner neuen Lebensgefährtin Monika Boley, die ihn einfach mitnahm in den Lindenhof. "Das war wirklich eine ganz besondere Erfahrung", erinnert er sich. Eine, die ihm gefiel. Eduard Hirlinger und seine Moni gehören bald zum Stammpublikum, die Schauspieler nennen ihn "unseren Eddie". Berthold Biesinger habe sich schon einmal nach einer Vorstellung zu ihm hingesetzt und gesagt: „"Eddie, jetzt will ich wirklich mal wissen, wie das alles bei Dir angekommen ist, wie Du das empfunden hast."

Meistens bleibt es nicht bei einem Besuch eines Stückes. Es wäre nicht das ganze Erlebnis. Denn zu Hause erzählt Monika Boley ihrem Lebensgefährten das, was er nicht gesehen hat. Wie das Bühnenbild war, wo was stand, wie es angemalt war, welche Farben die Kostüme und die Dekoration hatten und von wo in welcher Szene das Licht einfiel.

Und dann gibt es einen zweiten Besuch, in dem Hirlinger vor seinem geistigen Auge all das sieht, wovon seine Lebensgefährtin ihm berichtet hat und dann die Bilder im Kopf zusammenfügt. "Vielleicht lenkt uns das Sehen ja manchmal auch ein bisschen ab", meint er. Er konzentriere sich voll auf das, was er hört. Dem gesprochenen Wort komme für ihn in der Theaterkunst eben noch einmal eine ganz andere Bedeutung zu.

Ein besonderes Erlebnis war für Eddie Hirlinger, als das Ensemble ihn bat, bei einem Stück Pate zu stehen und die Proben zu begleiten: die "Molly Sweeney von Brien Friel". In dem Stück geht es um eine blinde Frau, die durch eine Operation das Augenlicht wieder erlangt, ihre neue Welt aber nicht verkraftet. Mit anderen Blinden hat Eddie im Vorfeld viel mit den Schauspielern und dem Regisseur diskutiert, ihnen die Augen geöffnet für die Welt der Nicht-Sehenden. Für ihn sei es wunderbar gewesen, die Bühnenakteure auch einmal privat kennen zu lernen, sagt er. Im Programmheft wird Eddie Hirlinger mit einem wunderschönen Satz zitiert: "Ich kann hören, ob mein Gegenüber lächelt."