In der Stuttgarter Theodor-Heuss-Kaserne gibt es keinen Truppenarzt mehr. Deshalb werden niedergelassene Mediziner gebraucht. Die zu finden, ist gar nicht so einfach Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In Deutschland herrscht zunehmend Ärztemangel. Das bekommt auch die Bundeswehr zu spüren. Trotz Reformen ist es mancherorts kaum noch möglich, Mediziner für die Truppe zu finden. Auch in Stuttgart hat sich die Suche jetzt schwierig gestaltet – und kurios.

Stuttgart - Herbert Miller (Name geändert) betreibt seine Arztpraxis unweit der Theodor-Heuss-Kaserne in Bad Cannstatt. Im vergangenen Oktober bekam er ungewöhnlichen Besuch. Vertreter der Bundeswehr stellten sich und ihr Anliegen vor: Es gelte, einen neuen Vertragsarzt für die Soldaten in der Kaserne zu finden. Dort dienen 133 Soldaten und 312 zivile Mitarbeiter. Eigene Bundeswehrmediziner für die Truppe gibt es an diesem Standort nicht mehr.

„Die haben zuvor offenbar diverse niedergelassene Ärzte angeschrieben und versucht, einen neuen Mediziner zu finden, der die Soldaten nebenher in seiner Praxis betreut“, sagt Herbert Miller. Obwohl er dem Angebot nach eigener Aussage eher zurückhaltend gegenüberstand, bekam er kurz nach dem Besuch einen Brief. „Darin wurde mir mitgeteilt, ich sei der neue beauftragte Arzt“, erzählt er. Nach einer kurzen Einweisung in der Kaserne tauchten Anfang Januar prompt die ersten Patienten auf.

Doch die Arbeit entwickelte sich nicht gerade ideal. „Viele Soldaten waren unzufrieden, weil sie ihren Arzt nicht frei wählen können“, erzählt Miller. Außerdem bringe die Arbeit für die Bundeswehr für niedergelassene Mediziner „eine völlig ausufernde Bürokratie“ mit sich. Eine Arzthelferin, die ihm zur Unterstützung zugesagt worden sei, habe ihren Dienst nie angetreten. „Vor den Faschingsferien habe ich deshalb meine Kündigung an die Bundeswehr geschickt“, sagt der Mediziner.

Kurz darauf seien Stempel und Formulare abgeholt worden, so Miller. Seither habe er von der Kaserne nie wieder etwas gehört. Seine Versuche, Ersatz für sich unter den niedergelassenen Kollegen zu finden, seien aussichtslos gewesen: „Mehrere Ärzte haben dankend abgelehnt, weil sie ohnehin schon von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends in ihren Praxen sind.“

Inzwischen ist die Bundeswehr jedoch fündig geworden. „Die Leute in Stuttgart sind alle versorgt“, sagt ein Sprecher des Landeskommandos Baden-Württemberg. Man habe zwei Ärzte in der Umgebung der Theodor-Heuss-Kaserne gefunden. „Zuvor mussten wir uns im Februar von einem Mediziner trennen“, sagt der Sprecher zu dem Fall. Es habe Beschwerden über die Praxis gegeben, „das ging dort nicht“. Überhaupt nötig geworden sei die Suche, weil die bisherige Vertragsärztin aufgehört habe – sie war bereits über 70.

Die erschwerte Suche in Stuttgart ist kein Einzelfall – und angesichts der Verhältnisse in anderen Teilen des Landes noch geradezu moderat. Bereits seit Jahren versucht die Bundeswehr verzweifelt, genug Mediziner für die Truppe zu finden. Den sogenannten Sanitätsdienst hat man deshalb zuletzt in größere Einheiten umstrukturiert. Es wurden bundesweit 13 große Versorgungszentren mit Facharztzentren geschaffen, dazu kleinere Unterstützungszentren.

Doch den großen Durchbruch hat das bisher nicht gebracht. Hellmut Königshaus, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, übt in seinem Ende Januar veröffentlichten Jahresbericht scharfe Kritik an den Zuständen. „An den gravierenden Personalproblemen in der sanitätsdienstlichen Versorgung hat sich wenig geändert“, heißt es da. Es fehlten immer noch rund 300 Sanitätsoffiziere, also Ärzte, „um die Vorgaben der neuen Personalstruktur zu erreichen“. Trotz verschiedener Versuche, die Posten aufzuwerten, gebe es „Personallücken“. Königshaus kommt zu Schluss: „Ohne den massiven Rückgriff auf zivile Kapazitäten des Gesundheitssektors könnte die Grundversorgung der Soldatinnen und Soldaten nicht sichergestellt werden.“

Doch genau diese zivilen Ärzte können die Lücken immer seltener schließen. Der Arztmangel in Deutschland erreicht so auch die Bundeswehr. Derzeit gibt es dort laut Verteidigungsministerium 2500 Humanmediziner und 400 Zahnärzte, von denen viele aber auch in Ämtern oder Ministerien eingesetzt werden, sich in Mutterschutz oder Teilzeit befinden. Die Zahl reicht deshalb nicht, um die Truppe zu betreuen.

„Die Mangelversorgung wird bei uns wie im zivilen Bereich ein großes Thema“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. „Wir müssen auf Vertragsärzte zurückgreifen, deren Verfügbarkeit für uns ist aber sehr eingeschränkt.“ Laut Ministerium fehlt es vor allem an Fachärzten, besonders in den sogenannten Fachuntersuchungsstellen. In den Bundeswehrkrankenhäusern sehe die Lage dagegen noch besser aus. Generell werde die Versorgung besonders in ländlichen Gebieten immer schwieriger. Die Sprecherin nennt vor allem Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein.

Dass die Versorgung der Truppe kein Selbstläufer mehr ist, hat die Bundeswehr jetzt aber auch in Stuttgart feststellen müssen. Für Herbert Miller ist das kein Wunder.

Hintergrund Soldaten-Versorgung

In der Theodor-Heuss-Kaserne an der Nürnberger Straße in Bad Cannstatt hat das Landeskommando Baden-Württemberg seinen Sitz. Insgesamt sind dort derzeit 445 Soldaten und zivile Mitarbeiter beschäftigt.

Einen eigenen Truppenarzt gibt es in Bad Cannstatt wie an zahlreichen anderen Standorten nicht mehr. Deshalb müssen die Bundeswehrangehörigen von niedergelassenen Ärzten in der Umgebung medizinisch versorgt werden.

Eine freie Arztwahl haben die Soldaten nicht. Sie müssen zum Truppenarzt gehen oder, wenn es den wie in Stuttgart nicht gibt, zum Vertragsarzt außerhalb der Kaserne. Festgelegt ist das im Soldatengesetz. Dafür genießen die Mitglieder der Truppe eine unentgeltliche ärztliche Versorgung. Wollte man eine freie Arztwahl durchsetzen, würde dies laut Verteidigungsministerium dazu führen, „dass wir das Prinzip der hundertprozentig freien Heilfürsorge aufgeben müssten“, so eine Sprecherin.

Die Vertragsärzte sind in erster Linie dazu da, alltägliche Krankheiten zu behandeln und die Soldaten krankzuschreiben. Haben sie größere Beschwerden, müssen sie in ein Bundeswehrkrankenhaus. (jbo)