Volker Kauder Foto: Fritsch

CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender kritisiert beim Redaktionsbesuch Türkei-Strategie der SPD. Mit Video

Oberndorf - "Da ist noch Bewegung drin." Volker Kauder ist ein erfahrener Wahlkämpfer. Seit 1990 vertritt er die CDU im Bundestag, seit 2005 ist er Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der am längsten amtierende in der Geschichte der Fraktion. Wenngleich er auch schon zuversichtlich gewesen sei, als die Demoskopen 37 Prozent für die Christdemokraten noch nicht – wie jetzt – für möglich gehalten hatten, mahnt der 68-Jährige eineinhalb Wochen vor der Bundestagswahl: "Das ist noch nicht entschieden." Um die Wähler zu mobilisieren, ist er unterwegs – nicht nur in seinem Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen –, "um den Leuten zu sagen, welche Politik wir in den nächsten vier Jahren wollen, damit es dem Land auch in Zukunft gut geht".

Auf jeden Fall will Kauder eines: "Merkel muss Kanzlerin bleiben", lautet seine Botschaft am Dienstag beim Redaktionsbesuch in Oberndorf. Und: "Die Union muss mit Abstand stärkste Kraft im Bundestag bleiben." Als "schwere Herausforderung für die Demokratie" bezeichnet Kauder die AfD. "Das zum Teil rechtsradikale Auftreten muss jeden bürgerlichen Wähler abschrecken", unterstreicht er, um den Rechtspopulisten gleich ins Stammbuch zu schreiben, dass jeder, der das christliche Abendland retten wolle, wissen müsse, "dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist – und man deshalb andere nicht herabwürdigen darf". Einen solchen Ton dürfe man nicht zulassen, betont der gläubige Protestant.

Als Christ habe er im Übrigen auch gewusst, "dass nur einer übers Wasser laufen kann", sagt Kauder in Anspielung auf den Hype nach der Nominierung von Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat: "In der Startphase war da viel zu viel Euphorie. Das konnte nicht gut gehen". Nicht allzu viel hält Kauder von Schulz’ Vorpreschen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen zu wollen. Forderungen zu erheben, die Einstimmigkeit in der EU voraussetzen, die aber nicht ersichtlich sei, sei "keine wirklich überzeugende Strategie", mahnt Kauder. Stattdessen würde er der Türkei anbieten, über das Kapitel Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu reden. Lehne der türkische Präsident Erdogan dies ab, "dann hätte er sich aus den Verhandlungen verabschiedet". Das, so ist Kauder überzeugt, wäre klüger, als wenn die Europäer ihm den Stuhl vor die Tür setzten. Auch an Außenminister Sigmar Gabriels (SPD) Vorschlag, die Waffenlieferungen an die Türkei zu stoppen, lässt er kein gutes Haar: Auch das sei ein Schnellschuss. Die Türkei sei schließlich immer noch Nato-Mitglied.

Innenpolitisch hat Kauder mehrere Probleme ausgemacht, die die Menschen umtreiben. Da sei zum einen das Thema Bildung. Wahlkampfschlager dürfe aber nicht das Schulklo werden, auch wenn die Ausstattung vielfach jämmerlich sei. Es müsse vor allem um Inhalte gehen: "Was passiert in der Schule?"

Sorge mache den Menschen auch die Zukunft des ländlichen Raums. Den gelte es "wettbewerbsfähig und lebenswert" zu erhalten, sagt Kauder und liefert gleich die Stichworte: schnelles Internet, Ärzteversorgung, Sicherheit, öffentliche Einrichtungen auf demselben Niveau wie in Ballungsgebieten. Um die nötige Infrastruktur zu schaffen, plädiert er für eine intensivere kommunale Zusammenarbeit. Zudem denkt er an einen Numerus-Clausus-Bonus für jene Medizin-Studenten, die bereit sind, anschließend für eine gewisse Zeit aufs Land zu gehen. Um die Sicherheit zu gewährleisten, bedürfe es mehr Polizei vor Ort – also seien mehr Stellen vonnöten.

Sorgen bereitet Kauder auch die Zukunft des Automobils. Der Verbrennungsmotor werde noch lange gebraucht, ist er überzeugt, Veränderungen werde es nicht "Knall auf Fall" geben. Die Automobilindustrie müsse Vertrauen zurückgewinnen; dies könne sie erreichen, wenn sie den Weg der E-Mobilität konsequent gehe. "Mal sehen, welche Signale von der IAA kommen", blickt Kauder auf die Auto-Ausstellung in Frankfurt.

Thema Flüchtlinge: Für Kauder gilt der Grundsatz, dass Menschen, die einen Asylgrund haben, im Land bleiben können. Subsidiär Geschützten sei der Schutz solange gewiss, bis sich die Lage in ihren Herkunftsländern verbessert habe. Europa müsse seine Außengrenzen schützen und Schleppern das Handwerk legen, fordert Kauder weiter. "Sofort anpacken" will er ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz – drängend sei etwa der Bedarf an Pflegepersonal.

Ob der Christdemokrat all dies weiter in einer großen Koalition mit der SPD erreichen will? Jedenfalls sei die Arbeitsbeziehung mit dem sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann "sehr gut": "Man hat sich aufeinander verlassen könen." Und das Verhältnis sei durchaus für weitere vier Jahre belastbar – "nach einer Aussprache", schmunzelt Kauder. Dennoch seien auch andere Partner denkbar – nicht aber die AfD und die Linke.