Bruno Diemer, Stilleben, 1961 Foto: Städtische Museen Heilbronn

„Ich bin der Welt abhandengekommen“: Die Gedichtzeile von Friedrich Rückert, die der Werkschau „Bruno Diemer – Bilder 1946–1961“ in Bietigheim vorangestellt ist, ruft den tragischen Unfalltod ins Gedächtnis, der das Leben des damals 37-jährigen Malers 1962 abrupt beendete.

„Als die Nachricht von seinem Tod kam, traf sie seine Freunde wie eine Botschaft, auf die sie im Unterbewusstsein immer gewartet hatten.“ Das schrieb Erika Billeter 1974 zur damaligen Diemer-Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Valentien. Als Studentin hatte die Kunsthistorikerin den Künstler in seinem winzigen Atelier im Hinterhof der Rue de la Tombe Issoire in Paris besucht und alsbald begonnen, seine Bilder zu sammeln. Doch „er war ein Mensch, der es sich schwermachte und der es schwer hatte“.

Jetzt hat der Tod der Witwe Diemers Bilder aus ihrem Besitz in die Öffentlichkeit gelangen lassen und die Bietigheimer Ausstellung ermöglicht. Nicht wenige darunter sind restauriert und neu gerahmt worden. Etliche sind seit dem Tod des Künstlers sogar nicht mehr zu sehen gewesen.

Zwar stieß die Gedächtnisschau des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart für den Frühverstorbenen 1964 auf wohlwollende Resonanz, weitere Auftritte blieben gleichwohl rar. Bis zur Ausstellung bei Valentien im Königsbau verging ein Jahrzehnt. 1977 erinnerte der Esslinger Kunstverein an den Außenseiter, 1992 die Galerie Schlichtenmaier in Grafenau. Die 1998 von den Städtischen Museen Heilbronn zusammen mit der Städtischen Galerie Albstadt initiierte und dem „Maler in Paris“ gewidmete Ausstellung entstand ausdrücklich „im Widerstand gegen das Vergessen“.

Zuletzt veranlasste 2002 die Schenkung von Karl Diemer, Bruder des Künstlers und viele Jahre Kulturredakteur unserer Zeitung, an die Städtische Galerie Bietigheim das Haus zu einer Studioausstellung.

„Trennschärfe zwischen Leben und Werk ist hier notwendiger denn je,“ schrieb für die „Stuttgarter Zeitung“ Richard Biedrzynski 1964 in seiner Rezension der Gedächtnisschau im Kunstgebäude. Vieles im Schaffen des Künstlers weise nämlich „auf einen bewussten Widerstand gegen alles Flache, Vordergründige und Laute dieser Welt“.

Drängt aber nicht gerade dieser Eigensinn darauf, nach biografischen Wurzeln zu fragen? Als Dreijähriger verlor Diemer den Vater. Als Achtzehnjähriger wurde er Kampfflieger und flog als Fallschirmflieger 1944 Einsätze bei Monte Cassino. Aus dem Krieg brachte er eine lebensbedrohliche Infektion mit. Seinem „Lebensretter“, dem Dermatologen Dr. E. Rittberger, setzte er 1952 mit einem Porträt ein Denkmal, das wie das Bildnis „Dr. Koch“ von Otto Dix den Arzt mit einer Spritze zeigt.

Von Willi Baumeister lernte Diemer an der Stuttgarter Akademie, dass es in Bildern spuken müsse, entfloh dem „Unbekannten in der Kunst“ aber schon 1950 mit seinem Kommilitonen Otto Schauer nach Paris und nach Vallauris, um letztlich auch Picassos mächtigen Einfluss abzustreifen.

Gerade vom bisher wenig bekannten Frühwerk mit seinem „kubistischen“ Einschlag sieht man nun bei Bayer einiges. Ein im Profil gesehenes, aber janusköpfig stilisiertes „Mädchen mit Spiegel“ schockiert mit erlesener Hässlichkeit. Sein dürftiges Atelier inspirierte den „Peintre maudit“, der sich als Tänzer, Rausschmeißer und Fremdenführer über Wasser hielt, zu kargen Stillleben, die ihre kubistische Eckigkeit allmählich ablegten.

Ihre reduzierte Formelhaftigkeit und die alles Bunte gnadenlos verdrängende Palette lassen Diemers Behauptung, wonach in seinen Bildern „keine Linie auch nur um fünf Millimeter verrückt werden“ dürfe, plausibel erscheinen. Die Position des Wasserkochers auf einem Stuhl von 1952 wirkt streng kalkuliert. Die exakt in Bildmitte hängende „Jacke“ vor deprimierendem Caput Mortuum, der Farbe der Verwesung, trägt anthropomorphe Züge. Gleiches gilt für zerwühlte, von oben betrachtete Bettlaken, die an eine Art Häutung denken lassen.

Auch die befremdlichen, bizarre Gymnastik treibenden Aktfiguren wirken wie von Drähten bewegte Marionetten, die zudem in geometrische Raster gezwängt scheinen. „Die Töchter des Admirals“ (1957) führen ein wunderliches Ritual mit gekreuzten Beinen und geknickten Armen auf. „Child’s Play“, das „Kind mit Taktstock“ führt sich selbst als General auf.

Diemers Eigenart, seine Protagonisten entweder in strenger Draufsicht oder genau von der Seite darzustellen, wird mit seiner Erfahrung als Flieger in Verbindung gebracht. Sie ist aber auch ägyptischer Kunst nicht fern, die Augen stets von vorn, Nasen aber seitlich zeigte. So oder so verliert sich der Boden unter den Füßen, und lediglich die bildimmanente Ordnung gibt Halt.

Besondere Bedeutung kommt bei den späten Stillleben mit Krügen, Töpfen, Vasen, Lauten und Pfeifen einer Horizontlinie zu, an der die Gegenstände wie aufgehängt erscheinen. Als nicht überschreitbare Grenze wird auch ihr schwerwiegende Symbolik zugeschrieben. Dem dreijährigen Knirps, der verbotswidrig zum aufgebahrten Vater vordrang, blieb der Anblick der Leiche erspart. Doch die Kante des Sargs brannte sich unauslöschlich ins kindliche Bewusstsein ein.

Bietigheim, Pforzheimer Straße 30. Bis zum 15. November. Mi bis Fr 15 bis 19, Sa 11 bis 15 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen – der Preis: 30 Euro.