Das alte Spitalgebäude, Spitalgasse 15, wurde am 16. April 1945 infolge eines Fliegerangriffs zerstört. Foto: Stadtarchiv Herrenberg Foto: Schwarzwälder-Bote

Zwischenbericht: Über die Geschichte der Stadt Herrenberg im Dritten Reich / Historiker forscht weiter

Von Käthe Ruess

Radikalisierung der NS-Elite nach der "Sportpalastrede" Goebbels, Einsatz von Zwangsarbeitern mitten in Herrenberg: Der Historiker Marcel vom Lehn hat tief in dem unrühmlichsten Kapitel der Stadtgeschichte Herrenbergs geforscht und vor rund 80 Zuhörern über erste Ergebnisse berichtet.

Herrenberg. Seit einem Jahr erforscht der freiberufliche Historiker Marcel vom Lehn die Geschichte der Gäustadt im Nationalsozialismus. Über seine Arbeit und erste Erkenntnisse berichtete der gebürtige Darmstädter, der heute in Berlin lebt, bei einer Geschichtswerkstatt im Gewölbekeller des Klosterhofs.

Der Historiker berichtete unter anderem, dass der Nationalsozialismus in Herrenberg 1933 eine "überdurchschnittliche Zustimmung" erfahren habe, die aber in anderen ländlich-protestantischen Gegenden ähnlich hoch gewesen sei.

Schwerpunkt liegt auf dem "Totalen Krieg"

Den Schwerpunkt seines Vortrages legte er jedoch auf das Kapitel "Herrenberg und der ›Totale Krieg‹ zwischen 1943 und 1945". Diesen habe Reichspropagandaminister Joseph Goebbels bei seiner "Sportpalastrede" am 18. Februar 1943 kurz nach der Kapitulation der Sechsten Armee in Stalingrad proklamiert, erinnerte vom Lehn. In Herrenberg sei daraufhin eine Radikalisierung der NS-Elite festzustellen. Diese Entwicklung mache er an einer wachsenden Zahl von Kirchenaustritten ab diesem Zeitpunkt fest.

Gleichzeitig seien die Einberufungszahlen gestiegen und die Produktion kriegswichtiger Güter wurde gesteigert. Auch in Herrenberg seien dabei Zwangsarbeiter eingesetzt worden.

Ein weiterer Einschnitt sei die Landung der alliierten Truppen in der Normandie am sechsten Juni 1944 gewesen. Ab da seien in Herrenberg nicht nur die Einberufungen nochmals gestiegen, sondern auch die Zahl der Luftalarme. Obwohl es nun täglich ums Überleben gegangen sei, habe der NS-Apparat bis zum Schluss funktioniert. Auch in Herrenberg habe im Herbst 1944 die Rekrutierung für den Volkssturm begonnen. Noch im Dezember 1944, als der Vormarsch der Alliierten stockte, sei in einem Protokoll einer Gemeinderatssitzung von der "Aussicht auf Endsieg" die Rede gewesen. Gleichzeitig hätten sich die NS-Funktionäre auf die Zeit nach dem Krieg vorbereitet. Beim Einrücken der Franzosen in Herrenberg am 18. April 1945 hätten alle bis auf den Bürgermeister die Stadt bereits verlassen gehabt.

Viele Quellen gebe es zum Kriegsende, so vom Lehn weiter. Zusammenfassend lasse sich sagen, dass es dort, wo reguläre Truppen standen, intensiven Widerstand gab, während dort, wo der Volkssturm kämpfte, es nur selten zu Kampfhandlungen gekommen sei. Beim schwersten Angriff am 17. April seien acht Menschen in einem Haus ums Leben gekommen.

In den ersten Tagen nach Kriegsende berichten Quellen zudem von Übergriffen auf Zivilisten durch französische Soldaten: Plünderungen, Vergewaltigungen und willkürliche Erschießungen habe es gegeben. Dennoch seien die meisten Menschen aus Herrenberg als Kriegsteilnehmer gestorben.

Seine Spurensuche hat ihn nicht nur ins Herrenberger Stadtarchiv geführt, sondern unter anderem auch ins Bundesarchiv, ins Hauptstaatsarchiv Stuttgart, ins Staatsarchiv Ludwigsburg sowie zur Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg und ins Wirtschaftsarchiv in Hohenheim. Auch neun Zeitzeugengespräche habe er inzwischen geführt und Zugang zu zwei Privatarchiven erhalten.

Er stehe "nun genau in der Mitte" seines auf zwei Jahre ausgelegten Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse als Buch erscheinen sollen.