Mit der richtigen Technik können sich die meist körperlich unterlegenen Frauen problemlos wehren. Dabei hilft auch schon mal ein Schirm. Foto: Huger, Wing-Tsun-Akademie

Chinesische Kampfsportart hilft dabei, in bedrohlichen Situationen besser zu reagieren.

Bisingen - In der Bisinger Wing-Tsun-Akademie zeigen Sandra und Frank Rieker, wie man sich gegen gewaltsame Übergriffe zu Wehr setzt. Doch am besten soll es gar nicht erst zum Ernstfall kommen.

Nicht nur an Silvester und nicht nur in Großstädten wie Köln kommt es immer wieder zu bedrohlichen Situationen für junge Frauen – und Männer. Selbstverteidigungskurse sind daher auch auf dem Land gefragt. Sandra und Frank Rieker aus Bisingen, Ausbilder der Wing-Tsun-Kampfsportkunst, können sich jedenfalls nicht über zu wenige Kursteilnehmer beklagen. Der Anteil von männlichen Teilnehmern ist allerdings immer noch höher als der der Frauen.

Erst vor kurzem wurde den beiden Wing-Tsun-Lehrern von einer jungen Kursteilnehmerin erzählt, dass sie belästigt worden ist. "Sie ist auf der Toilette in der Disco massiv bedrängt worden", sagt Frank Rieker. Das Mädchen wurde in die Ecke gedrängt. Doch dann griffen die Automatismen aus dem Selbstverteidigungskurs. Sie schrie den Täter an und schlug ihm ins Gesicht. Daraufhin ergriff dieser die Flucht. Kurios dabei: "Ihr erstes Problem war, dass sie sich fragte, ob der Mann zum Türsteher geht und sie vielleicht rausgeworfen wird", erzählt Frank Rieker.

Sich selbstbewusst und frei in der Gesellschaft bewegen

Doch die Wing-Tsun-Trainer freuen sich, dass die Schülerin das Gelernte auch anwenden konnte. "Vorher hätte sie sich das nicht vorstellen können", sagt Sandra Rieker. Bei der Selbstverteidigung geht es nämlich vor allem darum, ein besseres Selbstbewusstsein zu bekommen. "Es soll bewirken, dass man sich frei in der Gesellschaft bewegen kann", erläutert Frank Rieker. Es sei wichtig, aus der Opferrolle herauszukommen.

In einer bedrohlichen Situation geht es aber nicht nur darum, im Ernstfall selbst zuschlagen zu können, sondern in erster Linie auch darum, sich für andere bemerkbar zu machen. "Damit man sagen kann: Hör auf! Lass mich in Ruhe!", sagt Sandra Rieker. Damit hätten die meisten Frauen Probleme. Zudem könne man oft mit einfachen Mitteln einer gefährlichen Situation entkommen: Zum Beispiel Schutz in einer Gruppe suchen – auch wenn man diese nicht kennt. Die oder der Betroffene sollte dabei gezielt Leute ansprechen und zur Hilfe auffordern.

Erst, wenn solche Maßnahmen nicht möglich sind, wird auf Wing Tsun zurückgegriffen. Dabei handelt es sich um eine chinesische Kampfkunst, die vor allem die Selbstverteidigung lehrt. Hauptziele sind unter anderem ein besseres Körperverständnis und ein neues Selbstbewusstsein zu erlangen. "Es ist leicht erlernbar und braucht keine besonderen körperlichen Voraussetzungen", sagt Frank Rieker. Im Unterricht werden verschiedene Situationen simuliert. "Die Gewalt verändert sich ständig", sagt Frank Rieker. Früher ging es "nur" um Faustschläge. Heute sei es "gang und gäbe", dass jemand ein Messer zieht. "Man muss auf die steigende Gewaltbereitschaft reagieren", sagt Frank Rieker. Zudem wird den Schülern in den Kursen gezeigt, wie sie sich mit Alltagsgegenständen wie einem Schirm oder einem Besen zu Wehr setzen können.

In bedrohlichen Situationen deeskalierend wirken

Das Hauptziel von Wing Tsun ist jedoch, gar nicht erst in bedrohliche Situationen zu gelangen und bei Konflikten deeskalierend einzuwirken. "Ich finde es extrem wichtig, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen", sagt Frank Rieker. Denn das schärfe die Sinne.

Das verdeutlicht wiederum ein Beispiel: Es ist nicht lange her, da erzählte einer der anderen Ausbilder, dass er beobachtet hatte, wie ein Autofahrer langsam neben einem Schulkind herfuhr und etwas aus dem Fenster herausstreckte. Da sei der Ausbilder sofort hingerannt und der Autofahrer sei abgehauen. "Das finde ich toll, dass er die Situation so wahrgenommen hat", so Frank Rieker. Wing Tsun ist also nicht nur dafür gedacht, sich selbst zu verteidigen, sondern auch dafür, anderen zu helfen. Und das geht meist ganz ohne Gewalt.