In der Grosselfinger Fastnacht brennt der Brunnen (oben). "Der Sommervogel fliege frei und bringe uns den Frühling herbei" heißt es beim Fasnetsspiel, wenn der Sommervogel wieder befreit ist (unten, links). Die Räuber schleichen schon um das Sommervogelnest (unten, rechts). Fotos: Haug (2)/Bossenmaier (1) Foto: Schwarzwälder-Bote

Sommervogel symbolisiert die Gottvergessenheit des Narren / Die Chargen des Grosselfinger Narrengerichts (5)

Von Martin Beck

Grosselfingen. "Sommervogel fliege frei und bringe uns den Frühling herbei." Bevor der Narrenvogt des Ehrsamen Narrengerichts zu Grosselfingen diese Worte sprechen darf, muss der Sommervogel vor den Räubern gerettet werden. Der Raub des Sommervogels ist das schwerste Verbrechen im Reich der Herren von Venedig.

Den Sommervogel kann man am Schmotzigen Donnerstag und am Sonntag davor nach vier Jahren in Grosselfingen wieder fliege-n sehen. Der Sommervogel ist das Götzenbild, um das die Grosselfinger Narren ihr Narrenspiel treiben. Er symbolisiert die Gottvergessenheit des Narren. Seit es die Fastnacht gibt, haben Menschen in dieser Zeit spielerisch eine gottabgewandte Haltung eingenommen, um sich in der Fastenzeit wieder deutlich davon zu distanzieren. Dies ist das ursprünglichste Grundschemata der Narretei in der Fastnacht.

Der Bäder verkündet im Badverruf die Ankunft des Sommervogels. Dies löst einen unglaublichen Jubel im venezianischen Narrenreich aus. Nun kann es wieder Sommer werden, der Winter verliert seinen Schrecken. Aber der am Narrengerichtstag entmachtete Gemeindevogt behauptet später vor aller Augen und Ohren, dass es sich nicht um den Sommervogel handelt. Er legt sich sogar in einem närrischen Streitgespräch mit dem Narrenvogt an. Dieser aber bleibt unbeirrt und gibt dem entmachteten Gemeindevogt die Narrenbrille. Durch die gläserlose Brille der Narren, erkennt nun auch dieser Zweifler in dem Tier den langersehnten Sommervogel. Vor Freude und zur Ehre des Sommervogels singen alle die viele jahrhundertealte Sommervogelhymne: das "Guggu Lied". Danach huldigt das ganze Venezianische Reich dem Sommervogel, indem die Narren in einer Parade am Nest des Vogels vorbei ziehen. Jeder einzelne Narr verbeugt sich dabei tief und demütig vor dem Sommervogel.

Zur Bewachung sind die beiden jüngsten Bürger, die jüngst Verheirateten von Grosselfingen abgestellt. Diese lassen sich aber von einem Fremden zur Unachtsamkeit verführen. So gelingt das Ungeheuerliche: Der Sommervogel wird geraubt. Das ganze Narrenreich gerät in wilden Aufruhr, doch die Räuber werden gefasst und es wird unter freiem Himmel Gericht gehalten. Furiere, Magistrate, Platzmajor erheben Anklage, beraten und verkündigen das Urteil: Die Todesstrafe. Der Narrenvogt bricht über den Verurteilten den Stab und spricht ihnen damit das Leben ab.

Nun wendet der Narrenvogt sich dem geretteten Sommervogel zu. Er lässt ihn frei, damit es endlich wieder Frühling werden kann. Im Reich der Herren von Venedig zeigt man sich dann, nach geglückter Freilassung des Sommervogels versöhnlicher. Deshalb wird das harte Todesurteil gemildert und die Räuber werden nur in das eiskalte Wasser des Narrenbrunnens geworfen. Die Bäder brennen zuvor aus Gnade Strohwische an, werfen sie auf das eisige Wasser und versuchen es so zu erwärmen. Das Wasser im Brunnen brennt: Es ist Fastnacht in Grosselfingen.