Zusammen mit dem Filmemacher Lukas Zünd hat Silvia Pauli auf der Gedenkstättentagung in Gäufelden über den Stand des Projekts. Außerdem wurde im Museum Bisingen ein Interview für den Schweizer Rundfunk aufgezeichnet. Foto: Mayer Foto: Schwarzwälder-Bote

Gedenken: Die Schweigespirale durchbrochen / Schwester arbeitet Familiengeschichte in einem Film auf / Dreharbeiten in Bisingen

Schwester Silvia Pauli, die Enkelin des ehemaligen Lagerführers des KZ Bisingen, arbeitet ihre Auseinandersetzung mit der schwierigen Familiengeschichte in einem Film auf.

Bisingen. Im zweiten Buch Mose steht ein bleischwerer Satz: "Ich bin der Herr, dein Gott …, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied …". Die Ordensschwester Silvia Pauli gehört zur dritten Generation: Ihr Großvater Johannes Pauli war 1944/45 KZ-Lagerführer in Bisingen und neben dem übergeordneten Kommandanten Franz Johann Hofmann hauptverantwortlich für die hohen Opferzahlen. Nach dem Krieg wurde Pauli, der die Schweizer Staatsbürgerschaft hatte, vom Landgericht Basel zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

In der Familie wurde über all das geschwiegen, erinnert sich Schwester Silvia. Die knappe Erklärung für den Gefängnisaufenthalt: "irgend so eine Kriegsgeschichte".

Silvia Pauli war fünf Jahre alt, als ihr Großvater 1969 starb. Sie hat ihn nie kennengelernt, erkannte aber als Heranwachsende, dass ihr Vater, Johannes Paulis Sohn, schwer an etwas zu tragen hatte. Gesprochen wurde darüber nicht. "Es herrschte ein unausgesprochenes Schweigegebot", erzählt Schwester Silvia.

Die Schweigespirale hat Silvia Pauli vor Jahren durchbrochen. Heute versteht sie ihre Stellung als Enkelin auch als Auftrag. Ihr Vater, so Pauli, habe der zweiten Generation angehört. Er stand zu nahe und es war für ihn schwierig, mit den Verstrickungen seines Vaters in das nationalsozialistische Unrechtssystem umzugehen. Sie ist dagegen überzeugt davon, dass – im Sinne des Bibelworts – "die dritte und vierte Generation einen wichtigen Auftrag" habe, gewissermaßen als "Schnittstelle" fungiere.

Vor diesem Hintergrund ist Schwester Silvias persönliche Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte und vor allem ihr Heraustreten an die Öffentlichkeit zu verstehen. Auch der Film, den sie zusammen mit dem Schweizer Filmemacher Lukas Zünd dreht, gehört zu diesem Aufarbeitungsprozess. Der Arbeitstitel lautet: "Bis in die dritte und vierte Generation".

Viele der Aufnahmen wurden in Bisingen gedreht. Die ehemaligen Schauplätze des Konzentrationslagers und des Schieferabbaugebiets, die heute durch den Geschichtslehrpfad verbunden sind, stellen für Silvia Pauli besondere Orte dar. "Wenn ich auf dem Gelände des früheren Appellplatzes stehe, stelle ich mir vor, was damals um mich herum alles passiert ist." Am schwersten ist der Gang ins Museum, ins Obergeschoss zum Täterraum. Dort hängt ein großes Porträt ihres Großvaters Johannes Pauli.

Schwester Silvia erinnert sich genau daran, was in ihr vorging, als sie es zum ersten Mal sah. Sie hatte im Internet nach "KZ Bisingen" recherchiert. Kurz zuvor hatte sie durch einen aufwühlenden Traum erkannt, dass sie sich der verborgenen und beschwiegenen Familiengeschichte stellen musste.

"Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen"

Bei ihrer Recherche stieß sie auf den Blog, den Uta Hentsch, die Vorsitzende des Bisinger Gedenkstättenvereins betrieb. "Was ich da gelesen habe über Täter und Opfer, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", erinnert sich Silvia Pauli. Sie fuhr an einem Sonntagnachmittag allein nach Bisingen, betrat das Museum zur üblichen Öffnungszeit und stieg die Treppe hinauf. "Ich war vorbereitet", sagt sie "und dennoch …" Der Satz bleibt unvollendet. Beim Anblick des Porträts habe sie zugleich Ohnmacht und Wut gespürt, sie hätte das Bild am liebsten von der Wand gerissen. Dann wurde ihr bewusst, dass sie mit ihrer Fahrt nach Bisingen ein Familientabu brach. Und noch etwas wurde ihr klar: "Ich war ein Leben lang Opfer."

Wie es weiterging, sie mit Uta Hentsch Kontakt aufnahm, in dem Gefühl, dass sie Hilfe brauchte; wie sie versuchte, ihre Gefühle im Tanz auszudrücken, wie sie sich immer weiter hinauswagte, über ihre Geschichte sprach, davon berichtete Silvia Pauli den gebannten Teilnehmern auf der Gedenkstättentagung in Gäufelden. Darüber redete sie auch mit Remi Bütler vom Schweizer Rundfunk und davon wird auch ihr Film handeln.

Zur Preview im nächsten Jahr wird der Gedenkstättenverein ins Kino nach Balingen einladen. Außerdem wird Schwester Silvia sich am 7. Mai 2018 in einer öffentlichen Veranstaltung im Museum Bisingen mit einem anderen Enkel über "prägende Familiengeschichten" unterhalten. Ihr Gesprächspartner Frieder Meyer-Krahmer hat einen berühmten Großvater: den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister und Widerstandskämpfer Carl Friedrich Goerdeler.