Der Konstanzer Historiker Carsten Arbeiter beleuchtete auf Einladung des Vereins Gedenkstätten KZ Bisingen in einem lebendigen Vortrag die Fluchthilfe in die Schweiz während der Zeit des Nationalsozialismus. Foto: Maute Foto: Schwarzwälder-Bote

Historiker Carsten Arbeiter spricht im Heimatmuseum Bisingen über Fluchthilfe für Juden in die Schweiz

Von Andrea Maute

Bisingen. Sie stehen in einer Reihe mit Georg Elser, Graf von Stauffenberg oder den Geschwistern Scholl. Doch ihre Namen dürften den meisten eher unbekannt sein. Luise Meier, Josef Höfler, Otto Jogmin: Dies sind nur einige Beispiele "kleiner Leute", die im Nationalsozialismus zu "großen Helden" wurden.

Im Heimatmuseum Bisingen referierte der Historiker Carsten Arbeiter aus Konstanz auf Einladung des Vereins Gedenkstätten KZ am Donnerstag über das Thema Fluchthilfe für Juden in die Schweiz. Sich selbst in Gefahr bringen, um anderen zu helfen – was in der Theorie unter den Begriff Zivilcourage subsumiert wird, war ein aktiver Bestandteil des Lebens der "stillen Helden". Noch heute sorgt es für Gänsehautgefühl, wenn man den Worten von Lotte Kahle lauscht, die ihre eigene gefährliche Flucht beschreibt; den Tag, an dem sie von Helfern über die Grenze gebracht wurde – getarnt als Sonntagsspaziergängerin. Es waren Fluchtversuche, die, wie es der Vorsitzende des Vereins Gedenkstätten KZ, Dieter Grupp, beschrieb, "abenteuerlich gelangen", zum Teil aber auch "tragisch scheiterten." So konnte etwa Eberhard Einzig dem hohen Druck nicht mehr standhalten, verlor im Zug die Nerven und wurde ins KZ Theresienstadt gebracht. Außer ihm wurden im Falle des Fluchthilfenetzwerks, das im Mittelpunkt des Vortrags von Carsten Arbeiter stand, noch drei weitere Flüchtlinge aufgegriffen.

Viel höher ist jedoch die Zahl derer, die dem Netzwerk um die Berliner Witwe Luise Meier und den Gottmadinger Arbeiter Josef Höfler ihr Leben verdankt. 28 Juden schafften es in den Jahren 1943/44 mit ihrer Hilfe nach Schaffhausen. Doch warum war speziell jener Schweizer Kanton das Ziel ihrer Flucht? Als im Oktober 1941, fünf Tage nach dem Beginn der Juden-Deportationen, ein Auswanderungsverbot für die jüdische Bevölkerung ausgesprochen wurde, war Deutschland für sie zur "tödlichen Falle" geworden. Zu dieser Zeit war er immer stärker in den Köpfen der im Untergrund lebenden Menschen präsent – der Gedanke an Flucht. Es war die "grüne Grenze" zwischen Singen und Schaffhausen, die, in einem unübersichtlichen Waldgebiet gelegen, immer mehr Flüchtlinge anzog.

Doch nicht nur deshalb fiel ihre Wahl auf Schaffhausen. Der Hauptgrund war vielmehr in der liberalen Flüchtlingspolitik des von Stadtpräsident Walther Bringolf geführten Kantons zu suchen. Denn dieser nahm, trotz Schließung der Schweizer Grenze für die Juden im August 1942, weiterhin jüdische Flüchtlinge auf. Dennoch war der Grenzübertritt schwierig, "man musste sich vor Ort auskennen", so der Referent. Nachdem die Juden in Berlin Kontakt mit Luise Meier aufgenommen hatten, wandte sich diese an Josef Höfler. Er wies den von Meier nach Singen begleiteten und von weiteren Helfern nach Gottmadingen geführten Flüchtlingen einen sicheren Weg über die Grenze. Für beide Seiten war es ein konfliktreiches, riskantes Unternehmen, das im Juni 1944 einen tragischen Ausgang nahm: Alle Fluchthelfer wurden verhaftet. Allerdings kam es, wohl aufgrund des Chaos der letzten Kriegsmonate, 1945 nicht mehr zu einem Prozess, so dass die Inhaftierten ihre Freiheit wiedererlangten. 2001 erhielten Luise Meier und Josef Höfler von der Gedenkstätte Yad Vashem die Anerkennung als "Gerechte unter den Völkern" – eine gebührende Ehre für "kleine Leute", die zu "großen Helden" wurden.