Sibylle Thelen von der Landeszentrale für Politische Bildung hielt einen Vortrag über den "Völkermord in Armenien" im Bisinger Heimatmuseum. Foto: Wais Foto: Schwarzwälder-Bote

Geschichte: Völkermord in Armeinen steht bis heute im Schatten des Holocaust an den Juden

Zum 100. Mal jährte sich in diesem Jahr der Völkermord an den Armeniern in Ostanatolien. Ein Genozid, der lange nicht als solcher bezeichnet werden durfte und dessen Aufarbeitung bis vor wenigen Jahren hinter dem des Holocaust zurückstand.

Von Eberhard Wais

Bisingen. Selbst heute noch scheue sich die Bundesregierung aus politischen Gründen die Sache beim Namen zu nennen, bedauerte Sibylle Thelen von der Landeszentrale für Politische Bildung bei ihrem Vortrag über den "Völkermord in Armenien" im Bisinger Heimatmuseum.

Dabei habe es in all den Jahrzehnten sehr wohl Informationsmöglichkeiten dazu gegeben, wie Ines Mayer vom Verein Gedenkstätten KZ Bisingen dazu feststellte. Franz Werfel habe den hundertausendfachen Mord sogar zu Thema seines Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" gemacht.

Aber die Schwierigkeiten des "Erinnerns" seien vielfältig, obwohl dieser Genozid in vielem ein "Vorbild" des Holocaust gewesen sei. Sybille Thelen, ausgewiesene Kennerin der Materie (sie studierte Politik, Turkologie und Kommunikationswissenschaften), Buchautorin und bekannte Referentin, bezog sich in ihrer Einführung auf drei Aspekte: das Ereignis selbst, dessen Aufarbeitung und die Erinnerung. Anders als für den Holocaust gebe es für diesen Völkermord keine Gedenkstätten, die Armenier seien jahrzehntelange mit ihrer Erinnerung allein geblieben.

Angst, Aggression und Ahnungslosigkeit

Drei "A" waren dafür verantwortlich: Angst bei den überlebenden Armeniern in der Türkei und vor allem in Syrien, Aggression auf türkischer Seite, die das Ereignis herabspielt und Ahnungslosigkeit der deutschen Öffentlichkeit. Nicht aber der deutschen Politik.

Erstens war das Deutsche Reich selbst sehr stark in die Organisation dieses Völkermordes verwickelt, zweitens nahmen es die Nazis als Blaupause für ihre eigenen Pläne gegenüber den Juden.

Der 24. April 1915 gilt allgemein als Stichtag, damals wurden die armenischen Intellektuellen aus Istanbul verschleppt und ermordet, damit war die "Führungsschicht" des armenischen Volksteils eliminiert. Es folgte die Vertreibung vor allem der Frauen, Kinder und Greise. Die Männer wurden gleich erschossen. Der Todesmarsch von hunderttausenden (manche sagen sogar 1,5 Millionen) über Aleppo in die syrische Wüste musste in den Tod führen.

Mit einem Schlag war der Großteil der rund 20 Prozent nichtmuslimischen Bevölkerung im Osmanischen Reich ausradiert. Wobei dieser Genozid an den armenischen Christen aber vor allem aus nationalistischen Motiven geschah und weniger aus religiösen Motiven heraus, wie Sybille Thelen in ihrem Vortrag betonte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Osmanische Reich aufgeteilt, es war sogar eine Region für die verbliebenen Armenier vorgesehen. Aber die Jungtürken machten diese Regelung des Vertrag von Sèvres rückgängig. Für das Schicksal der Armenier oder wenigstens eine Aufarbeitung ihrer Geschichte war da kein Platz, weil ja auch noch zahlreiche "Akteure" in Amt und Würden geblieben waren.

Studien belegen die bewusste Ausrottung

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte ein noch größerer Völkermord, der Holocaust, Politiker und Wissenschaftler. Der "Kalte Krieg" tat sein übriges, Türkei war als einer der ersten Nato-Mitglieder ein unverzichtbarer Pfeiler im Südöstlichen Sicherheitsgefüge. Heute gibt es aber zahlreiche Studien und Untersuchungen der inzwischen zugänglichen Regierungsakten die belegen, dass der Völkermord zur "Ausrottung dieser Parasiten" aus ethnisch-rassistischen, nationalistischen Gründen bewusst geschah.

Die europäischen Regierungen wussten darüber Bescheid, die Deutschen halfen sogar mittels Logistik und Ratgebern aktiv daran mit. Erst seit rund zehn Jahren wird der Völkermord als solcher von immer mehr Staaten anerkannt, immer aber auf vehementen Widerspruch der Türkei stoßend.