Eine Schülerin nimmt im Rollstuhl am Unterricht teil. Foto: Hollemann

Stiftung Lebenshilfe Zollernalb bietet Unterstützung an. "Inklusion ist erst erreicht, wenn man nicht mehr über sie spricht."

Bisingen - Der zehnjährige Ben geht gerne zur Schule. In Rangendingen, wo er eine Außenklasse der Weiherschule Hechingen im Zollernalbkreis, eine Schule für Kinder und Jugendliche mit speziellem Förderbedarf besucht, fühlt sich der aufgeweckte Junge, der das Down-Syndrom hat, sehr wohl.

Das Besondere an diesem Modell: Die fünf Schüler, die dort aktuell unterrichtet werden, haben eine feste Kooperationsklasse. Jeden Tag gibt es Zeiten, in denen Kinder mit und ohne Handicap zusammen lernen. Auch gemeinsame Projekte wie eine Verkehrsübung oder eine Übernachtung in der Schule gehören zum Konzept. Inklusion – hier geht sie, jenseits aller theoretischen Vorgaben, ganz selbstverständlich vonstatten.

"Mit der Außenklasse haben wir gute Erfahrungen gemacht", bestätigt die Mutter von Ben, Jasmin Jetter. Und doch gibt es, jenseits vieler funktionierender Beispiele, auch zahlreiche Faktoren, die zeigen: Inklusion – das ist ein langer Weg, von dem erst ein kleines Stück beschritten ist.

Da ist zum einen die Unsicherheit. Wie wird es weitergehen, wenn Ben im nächsten Schuljahr in die fünfte Klasse kommt? Der Wunsch der Eltern ist, dass ihr Sohn wie bisher im Rahmen eines entsprechenden Modells in eine Regelschule eingegliedert bleibt. So lange es möglich ist, soll Ben mit Kindern ohne Behinderung gemeinsam lernen.

Wäre das im Rahmen einer Außenklasse nicht mehr möglich, würde sich die Familie einen Inklusionsbegleiter suchen; eine Fachkraft, die Kindern mit Handicap Hilfe leistet, sie im Schulalltag je nach Bedarf unterstützt.

Entsprechende Erfahrungen im Bereich der sogenannten "Assistenzleistung" hat Katja Hirschberger. Bei ihrer Tochter Marie wurde vor einigen Jahren Asperger Autismus diagnostiziert. Seit dem Schuljahr 2011/12 hat die heute 15-Jährige in der Schule eine Inklusionsbegleiterin an ihrer Seite. "Gleich nach der Diagnose wurde uns der Assistenzdienst bewilligt", erklärt Katja Hirschberger.

Dreieinhalb Jahre war die Schulbegleiterin an Maries Seite, wurde, wie die Mutter berichtet, zu einer Vertrauensperson für das Mädchen. Durch den Wechsel an die Werkrealschule Geislingen gab es dann auch einen Wechsel in der Betreuung. "Mit der neuen Schule musste eine andere Schulbegleitung gefunden werden", blickt Katja Hirschberger zurück. An die neue Betreuerin hat sich Marie inzwischen gut gewöhnt, auch zu ihr hat sie einen guten Draht.

Dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Kindern und Jugendlichen und ihren Begleitern gewährleistet sein muss, weiß Katja Hirschberger aus eigener Erfahrung, ist sie doch selbst Inklusionsbegleiterin für ein Kind im Kindergartenalter.

Die erste Begleitung für Marie wurde der Familie über die Schule vermittelt, die zweite über die Stiftung Lebenshilfe Zollernalb. Letztere hat die Zeichen der Zeit erkannt und eine eigene Fachstelle für Schulbegleitungen und Assistenzleistungen geschaffen, die Menschen mit Behinderung eine passgenaue Unterstützung anbietet.

Wie Holger Klein, Vorstandsvorsitzender der Stiftung, berichtet, ist die Nachfrage nach Assistenzleistungen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Seitdem 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft trat, in der gesetzlich verankert ist, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung nicht vom Unterricht an Regelschulen ausgeschlossen werden dürfen, sei das Thema Inklusion verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Assistenzleistungen selbst seien indes nicht neu, betont Holger Klein und verweist auf frühere Beispiele. Schon bevor Inklusion in aller Munde war, habe es Betreuer gegeben, die Kinder und Jugendliche mit Handicap zur Schule begleiteten. Während es damals jedoch hauptsächlich Schüler mit körperlichen Defiziten waren, sind es heute in der Mehrzahl junge Menschen mit seelischen Erkrankungen.

"Schulsystem muss auf Kinder mit Behinderung vorbereitet sein"

Die entsprechenden Zahlen hat Franziska Pfister parat, die in dem von Corinna Linke geleiteten Fachbereich für Offene Hilfen der Stiftung Lebenshilfe Zollernalb die Schulbegleitung koordiniert. Waren es im Schuljahr 2014/15 noch 18 Schulbegleitungsfälle, sind es in diesem Jahr bereits 28 – unter ihnen 17 Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen. Je nach Unterstützungsbedarf übernehmen Anlernkräfte, Fachkräfte mit Ausbildung in sozialen Berufen oder Sozialpädagogen deren Begleitung.

Besonders wichtig ist den Fachbereichsleitern der Lebenshilfe, dass im Laufe des Schuljahres regelmäßig Reflexionsgespräche stattfinden und sich die Inklusionsbetreuer untereinander austauschen können. Doch nicht nur das. Damit Inklusion funktionieren kann, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen – sprich: Es muss nicht nur die Finanzierung geregelt, sondern auch eine enge Vernetzung zwischen allen Beteiligten gewährleistet sein. Und vor allem: "Das Schulsystem muss auf Kinder mit Behinderung vorbereitet sein", betont Holger Klein.

Was sich die betroffenen Familien für die Zukunft wünschen? "Dass die Anliegen der Eltern stärker berücksichtigt werden", sagt Jasmin Jetter. Katja Hirschberger ist es wichtig, dass der Tätigkeitsbereich der Assistenzfachkraft stärker in den Blickpunkt gerückt wird und sich alle Schulen dem gemeinsamen Unterricht öffnen. "Denn Vielfalt", so weiß sie aus Erfahrung, "ist ein Mehrwert für alle.

Inklusion – sie hat also gerade erst begonnen und ist, wie Holger Klein betont, "erst dann erreicht, wenn man nicht mehr über sie spricht."