Szene aus Martin Schläpfers neuem Mozart-Ballett „Symphonie g-Moll“. Foto: Gert Weigelt

Martin Schläpfer lässt beim neuen Ballettabend „b23“ in Düsseldorf zu Mozart tanzen. Neues gibt es auch von seiner Schweizer Landsmännin Brigitta Luisa Merki, die Düsseldorfer Tänzer und ihre Kompanie Flamencos en route gemeinsam auf die Bühne bringt.

Für die einen ist sie die „Große g-Moll“, für Robert Schumann war sie die Sinfonie mit „griechisch-schwebender Grazie“. Jetzt hat Martin Schläpfer die berühmten Seufzermotive, Melancholie und Heiterkeit aus Mozarts Sinfonie G-Moll auf 18 Leiber seiner Tanzkompanie choreografiert. Von kopflosen Figurinen (Kostümpuppen aus der Werkstatt von Florian Etti) auf der blau ausgeleuchteten Empore des Opernhauses beobachtet, bewegen sich die Tänzer streng synchron nach dem Vokabular des klassischen Tanzes.

Doch die Wunder geschehen immer dann, wenn Marc Piollet am Dirigierpult die Musiker der Düsseldorfer Symphoniker schon in die Fermate geführt hat. Wie Schläpfers Tänzer immer wieder den Nachklang in der scheinbaren Stille mit getanzter Poesie füllen, erzeugt Gänsehaut.

Doch Mozart fordert noch mehr von Martin Schläpfer. Der Komponist schrieb sein Werk in Zeiten schwarzer Gedanken. Ihn plagten Geldsorgen. Düsternis aber beherrscht nicht seine Sinfonie. Und so erinnern Schläpfers Tänzer, die jetzt barfüßig ein Fest feiern, Höckerchen heranschleppen, darauf Platz nehmen, sich wieder erheben, um ungezügelt weiter zu tanzen, an ausgelassene Kinder.

Die erdfarbenen Tellerröcke bilden Wellen

Burleske Züge nimmt die Szenerie an, wenn sich die Dorfgesellschaft aufmacht, ziselierte Schrittfolgen einer imaginären Hofgesellschaft mit koboldhaften, täppischen Sprüngen zu imitieren. Versöhnt in ihrer Verschiedenheit, entfachen die Tänzer im Finale stürmische Wirbel. Die erdfarbenen Tellerröcke der Frauen bilden Wellen, die Figuren im Bühnenhintergrund beginnen sich zu drehen. Jubel im Publikum für Martin Schläpfer, seine Kompanie und ihr getanztes „savoir vivre“.

Und dann die eigentliche Überraschung des Abends: Die Uraufführung von Brigitta Luisa Merkis Choreografie „...adónde vas, Siguiriya?“, ganz und gar ungewöhnlich in der Begegnung ihres Tanz- und Musikensembles Flamenco en route mit Tänzern aus Martin Schläpfers Ballett. Ein Genrewechsel im Opernhaus Düsseldorf, dem sich an diesem Abend selbst Puristen des klassischen Balletts ergeben. Mit nackten Füßen auf dem runden Tanzboden symbolhaft geerdet, eröffnet Marlucia do Amaral zum Rhythmus einer Siguiriya das Flamenco-Capricho.

Fremd für heutige Hörgewohnheiten der Klang der aus dem Mittelalter stammenden Nyckelharpa (Schlüsselfidel), vertraut die Harmonien. Das unerbittliche Sehnen, das Klagen des andalusischen Gesangs, ein Ziehen an Herz und Hirn - ach, die Liebe! Als hätten sie nie etwas anderes getan, mischen sich die Tänzer des Balletts am Rhein mit den Tänzern des Merki-Ensemble in ihrer Hingabe an archaische Gefühle. Die Posen der Klassik sind weniger forciert, die Zapateados weniger auftrumpfend; in all den Ein- und Umkreisungen von Frau und Mann entzündet sich ein unstillbares Feuer.

Realistisch wie surrealistische Bilder

Brigitta Luisa Merki, die in 30 Jahren Flamencos en route immer wieder auf die Synthese unterschiedlichster Kunstformen setzte, das Unesco-Weltkulturerbe Flamenco entschlackte, vielleicht auch „europäisierte“, krönt mit dieser Produktion ihre künstlerische Arbeit.

Mats Ek setzt an diesem besonderen Abend mit „Rättika“ einen dritten Akzent. 2008 in Stockholm entstanden, hat er nun sein eigenwilliges Stück zu Brahms Konzert für Violine (packend: Marc Bouchkov) und Orchester D-Dur op.77 auf Schläpfers Tänzer übertragen. Realistisch wie surrealistisch die Bilder, wenn das in erd- und blütenfarben gekleidete Ensemble Rüben gleich („Rättika“ heißt im Schwedischen Rettich) auf dem Po über den Boden rutscht. Im zweiten Satz wachsen Rettiche aus Stoff aus dem Bühnenhimmel, während dunkle Plastiksäcke wie geheimnisvoll schimmernde Kristalle das Bühnenbild dominieren.

Nächste Aufführungen im Opernhaus Düsseldorf am 19., 21., 25. und 28. März