Die Teilnehmer von "Kirche woanders" haben sich mitten im Supermarkt zwischen den Kühltruhen aufgestellt. Fotos: Klebitz Foto: Schwarzwälder-Bote

Religion: Viele Teilnehmer bei der Veranstaltungsreihe "Kirche woanders" / Fortsetzung ist möglich

Mit der Reihe "Kirche woanders" wollen vier Kirchengemeinden im Dekanat Balingen zeigen, dass Kirche und gelebter Glaube auch an ungewohnten Orten passieren können. Mitten im Alltag, während des ganz normalen Lebens. Der Versuch ist geglückt. Sogar mehr als das.

Balingen-Frommern. Treffpunkt: Gemüseabteilung im örtlichen Supermarkt. Jan Rüggemeier, der gerade als Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde verabschiedet wurde, steht mit dem Rücken zu einem Tiefkühlschrank, auf dem "vegetarisch" zu lesen ist. Vor ihm ein Mikrofon.

Etwa 40 Supermarktbesucher sind gespannt auf das, was er gleich erzählen wird. Rüggemeier ist an diesem Abend quasi geschäftlich im Supermarkt. Gemeinsam mit seinen Kollegen Manfred Plog von der Gemeinde Frommern, Ingo Bauer aus Zillhausen-Streichen und Markus Bühler von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Zillhausen hat er sich ein besonderes Projekt ausgedacht: "Kirche woanders" heißt es und soll zeigen, dass Kirche, dass Glaube, auch an anderen Orten stattfinden kann als im Kirchenschiff.

Die Kunden im Markt wirken entspannt. Zwischen Regalen voller Orangen und Salatköpfen suchen sie sich einen Platz, von dem aus sie das ungewöhnliche Treiben beobachten können. Filialleiter Stefan Kuhn tritt zu Rüggemeier ans Mikrofon. Für einen großen Supermarkt verantwortlich sein, wie ist das eigentlich? Kuhn erzählt, wie er zu seinem Job kam. Dass ihm die Arbeit Spaß mache, auch wenn es oft stressig sei. "Wenn man von montags bis samstags arbeitet, dann möchte man am Sonntagmorgen wahrscheinlich nicht immer in die Kirche gehen, sondern auch mal Zeit für die Familie haben", stellt Rüggemeier fest. Es entwickelt sich ein Gespräch darüber, was der Supermarkt-Leiter sich von seiner Gemeinde wünscht, wie er sich Gottesdienst vorstellt. "Wir können Jesus jeden Tag dienen, nicht nur am Sonntag in der Kirche", ist er überzeugt.

Vieles, was an diesem Abend passiert, ist spontan. Ein festes Skript zu den "Kirche woanders"-Veranstaltungen gibt es nicht. "Wir möchten mit den Leuten einfach ins Gespräch kommen an ungewöhnlichen Orten, und daraus vielleicht Ideen entwickeln für das Gemeindeleben", erklärt Pfarrer Jan Rüggemeier das Konzept der Reihe. Das Organisationsteam hat jeden Abend unter ein bestimmtes Thema gestellt. Im Supermarkt ist es Genuss, im Pub Old Riedi Gastfreundschaft; bei einem Treffen in der Turnhalle geht es um Bewegung und bei "Kirche woanders" im Feuerwehrhaus um Rettung.

Alle diese Treffen kamen gut an. Sehr gut sogar. "Mit so viel Teilnehmern haben wir gar nicht gerechnet", erzählt Rüggemeier. Der Einsatz der Feuerwehrleute habe die Gäste beeindruckt. Dass jemand sich so sehr für andere engagiere und bei einem Einsatz vielleicht selbst die Familie zu Hause auf dem Sofa zurücklassen müsse für andere, dafür seien die Leute dankbar gewesen.

Und im Supermarkt. Wie läuft es da? Auch dort kommen im Laufe der Veranstaltung zu den Gemeindemitgliedern, die bei jeder Veranstaltung der Reihe dabei und quasi schon Fans von "Kirche woanders" sind, immer mehr Kunden dazu. Die meisten aus Neugier.

Aus der Gemüseabteilung ist die Gruppe mittlerweile weitergezogen zu den großen Tiefkühltruhen vor der Fleischtheke. Auf schwarzen Tüchern stehen dort auf Tabletts Häppchen bereit. Schließlich geht es um das Thema Genuss.

Zwischen den Tellern mit Finger-Food liegt noch etwas anderes: gelbe Zettel. Sprüche von Philosophen und Denkern und Zitate aus der Bibel sind darauf abgedruckt. Auch hier dreht sich alles um den Genuss. Die Teilnehmer unterhalten sich über die Zitate und darüber, was Genuss für sie eigentlich bedeutet. "Man muss dankbar sein", sagt eine Frau. "Eigentlich sollte man viel bewusster essen."

Dann wird es plötzlich unruhig. Verena Rissel, die normalerweise in einem Gospelchor und einer Rock-Cover-Band singt, begeistert nun das Publikum beim Supermarkt-Gottesdienst. Aus allen Ecken bekommt sie Unterstützung: Ein Keyboard, ein Saxofon, Cajons und sogar eine Panflöte erklingen. Die Besucher sind völlig überrascht. Sie singen mit der spontan zusammengestellten Band "Komm und lobe den Herrn, meine Seele sing, bete den König an". Eigentlich hätte die Aktion nach drei Minuten vorbei sein sollen, dann muss die Band doch etwas länger spielen, weil die Musik so gut ankommt.

Aus diesen Gesprächen im Supermarkt, bei der Feuerwehr, im Pub und in der Turnhalle haben nicht nur die Teilnehmer viel mitgenommen, auch die Pfarrer hat die Veranstaltungsreihe bereichert. Viele Ideen sind entstanden, beispielsweise die eines Stammtischs im Pub, nach der Kirche.

Besonders am Herzen liegt den Besuchern nach dem Supermarkt-Gottesdienst aber eines: dass "Kirche woanders" weitergeht. Wann, steht allerdings noch nicht fest.