Aufmerksam verfolgen die Besucher die Ausführungen von Herbert Renz-Polster. Foto: Reiband Foto: Schwarzwälder-Bote

Bildung: Experte für Kinderschlaf referiert im Landratsamt

Balingen. Kinder in die Welt zu setzen – das bedeutet für viele Eltern offenbar die Befürchtung, ihre Freiheit zu verlieren. Was das alles mit dem Schlaf der Kleinsten zu tun hat und wie man sich helfen kann, darüber sprach Kinderarzt Herbert Renz-Polster im Balinger Landratsamt.

Seine Forschung bezieht sich auf den evolutionären Teil der menschlichen Entwicklung und wie diese sich auf die Entwicklung von Babys und Kleinkindern heute noch auswirkt. "Was ist das mit dem Schlaf und warum ist der bei den Kleinen so schwierig", fragte Renz-Polster zu Beginn und versprach statt Tipps lieber Erklärungshilfen zu geben, denn: "Die Tipps funktionieren meist ja doch nur bei den Nachbarkindern."

Jedes Kind schlafe anders und habe einen eigenen Schlafbedarf, so der Referent. Und alle Eltern müssten mit ihrem Kind den individuellen Weg in den Schlaf finden. Häufig bestehe die Angst, dass das Kind verwöhnt und nie selbstständig werde, wenn Eltern zu sehr ein bestimmtes Verhalten zeigten – dazu gehöre Tragen oder in den Schlaf stillen. Eltern fürchteten, wenn sie nachgäben, im Machtkampf mit dem Kind zu unterliegen.

Renz-Polster zeigte auf, dass das Verhalten der Kinder an ihrem angeborenen Sicherheitsgefühl liegt. Dieses nämlich sei evolutionär bedingt und so ausgelegt, dass das Kind maximale Sicherheit einfordere, damit der ruhige Schlaf gelingt. Als früher die Gefahr in Gestalt von Säbelzahntiger und Bär lauerte, machte es Sinn.

Dieses Programm wirke heute auch noch. Das so genannte Bindungsverhalten des Babys und Kleinkindes könne als normales und lebenserhaltendes Programm erachtet werden. "Man kann Babys nicht zu viel Bindungszuwendung geben", erklärte der Fachmann. Denn eine ausreichende Bindung und damit einhergehende innere Sicherheit führe bei Kindern dann dazu, dass sie die Welt erforschten und sich automatisch von den Eltern lösen.

Der Mensch zeichne sich dadurch aus, dass er lebenslang lernen kann. Babys und Kleinkinder müssten zu Beginn des Lebens all ihre Energie in die Entwicklung des Gehirns stecken, damit Lernen erfolgreich sei. Dabei bräuchten sie feinfühlige, entspannte Eltern, die sie pflegten und unterstützten.

Über Beziehung lerne das Kind, wie das Leben funktioniere. Durch gute, gelingende Beziehungen würden Kinder auf die Bewältigung ihrer unbekannten Zukunft vorbereitet. "Das führt uns direkt hinein ins Herz der Kinder: Sie brauchen gleichzeitig Wurzeln und Flügel." Werde die eine Seite der Münze aktiviert, aktiviere sich automatisch und gleichzeitig auch die andere.

Herbert Renz-Polster zum Schluss: "Kinder werden selbstständig, auch wenn sie im Elternbett schlafen." Wobei er das propagierte Schreien lassen der Kinder kritisch hinterfragte. Evolutionär betrachtet gebe es drei Wege aus subjektiv empfundener Gefahr: Fliehen, kämpfen oder tot stellen. Letzteres bedeute die größte Not und sei vergleichbar mit Kindern, die irgendwann das Schreien aufgeben und schlafen. Renz-Polster: "Mag jeder für sich entscheiden, welche Qualität dieser Schlaf hat im Vergleich zu einem Schlaf, der durch Sicherheit gefunden wurde."