Ali Moraly ist in das ehemalige Kinderzimmer bei seinen Verwandten in Balingen eingezogen. Foto: Kammerer

Ali Moraly ist vor dem Bürgerkrieg geflohen. Nur mit einem Künstlervisum konnte er nach Deutschland kommen.

Balingen - Mit zwei Koffern ist Ali Moraly (34) auf dem Stuttgarter Flughafen gelandet. In den einen hat er sein ganzes Leben gepackt: ein paar Shirts und Hosen, seinen Laptop und seinen Pass. Im anderen ruht sein Herzblut, seine Geige. Ali Moraly ist vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen. Über Istanbul ist er nach Deutschland gekommen.

Ali Moraly ist ein großer Mann mit wuscheligen braunen Haaren, einer Brille und sanften Zügen. Nun sitzt er in einem kleinen Zimmer in einem Haus in Balingen am Fuße der Schwäbischen Alb. Dies wird für unbestimmte Zeit sein neues Zuhause sein. Der Bettüberzug ist rosa, in einem großen Regal türmen sich bunte Bücher und Spielzeug. Es ist das frühere Kinderzimmer der Tochter von Susanne Kieckbusch, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Kieckbusch ist Moralys Tante.

Ali Moralys Geschichte ist eine von vielen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind momentan mehr als zwei Millionen Syrer als Flüchtlinge registriert. Die Dunkelziffer liegt wohl weitaus höher. Seit Beginn der Unruhen in den ersten Monaten des Jahres 2011 haben nach Angaben des Bundesinnenministeriums 18.000 Syrer Asyl in Deutschland beantragt.

Zur Politik schweigt er lieber

Ali Moraly beschließt, erst zu fliehen, als das Land bereits in Gewalt versunken ist. Damaskus ist seine Geburtsstadt, hier hat er seine ganze Kindheit verbracht, hier leben seine Freunde und die Verwandten. Mit neun Jahren lernt Moraly Geige zu spielen, später beginnt er ein Studium an der Hochschule für Musik. Eigentlich wollte er was von der Welt sehen, im Ausland studieren, er war auch ein Jahr in Frankreich. Doch es verschlägt ihn immer wieder nach Damaskus.

Der Mann mit den sanften Zügen wird Berufsmusiker. Er unterrichtet junge Leute, spielt im einzigen Sinfonieorchester des Landes, schreibt nebenher für verschiedene Zeitungen. Über Kunst, Literatur und Musik. Zur Politik schweigt er lieber, "denn in Syrien kannst du dich nicht frei äußern". Er wird nie politisch aktiv, steckt seine ganze Energie in die Musik. Nur im kleinen Kreis wird über die Regierung diskutiert. Sehnsüchtig schauen die jungen Menschen in Syrien auf die demokratischen Staaten im Westen.

Dann breitet der "Arabische Frühling" im Dezember 2010 seine Flügel aus. In Tunesien, Ägypten und Libyen kämpfen die Menschen für ihre demokratischen Rechte. Und in Syrien beginnen sich Moraly und seine Freunde zu fragen, was denn passiert, wenn die Revolution auch zu ihnen kommt. "Wir hatten Angst vor einem Blutvergießen. Denn wir wussten, dass dieses Regime niemals kampflos aufgeben wird."

Dann wird tatsächlich auch Damaskus von den Unruhen erfasst. Moralys Freunde und Bekannte gehen auf die Straße und protestieren. Viele von ihnen werden eingesperrt, müssen fliehen, von manchen erhält er nie wieder ein Lebenszeichen. Ein alter Klassenkamerad stirbt im Gefängnis. Moraly selbst hält sich weiter politisch zurück. Nie habe er den Mut seiner Freunde gehabt, ebenfalls auf die Straße zu gehen, sagt er heute. Er zollt ihnen großen Respekt.

Seine Schwester verlässt das von Unruhen geschüttelte Land Anfang 2012. Er selbst verliert immer noch keinen Gedanken an Flucht, allein schon wegen der Eltern, die nicht mehr reisen können. Dann besetzt die Armee mit Panzern seine Nachbarschaft, dort haben sich Rebellen niedergelassen. Es wird ihm zu gefährlich. Überstürzt packt Moraly seine Geige und den mittelgroßen, hellbraunen Koffer - und wird nicht wieder zurückkehren.

Gerne würde er Benefizkonzerte für seine Landsleute geben

Für ein europäisches Land bekommt er kein Visum, nicht mal zu einem Geigenwettbewerb darf er einreisen. So findet er in Istanbul vorerst eine neue Bleibe - bis die Unruhen zu Pfingsten 2013 auch in die Türkei überschwappen. Ali Moraly wird nervös, zu viel erinnert ihn an das, was er schon einmal erlebt hat. Der Musiker steht im regen Kontakt mit den Kieckbuschs in Deutschland, versucht erfolglos mehrere Monate lang, ein Visum für ein europäisches Land zu bekommen. Dort erhofft er sich Sicherheit und eine berufliche Zukunft als klassischer Musiker.

Zu diesem Zeitpunkt hat die Bundesregierung bereits die Aufnahme von 5000 syrischen Flüchtlingen beschlossen. Möglichkeiten für eine Aufnahme in dieses Programm haben besonders schutzbedürftige Personen sowie solche, die bereits Beziehungen nach Deutschland haben oder nach Konfliktende in besonderer Weise zum Wiederaufbau ihres Landes beitragen können. Nach Angaben eines Sprechers des Innenministeriums müssen die Flüchtlinge lediglich einen Antrag beim UNHCR stellen. Dieser wird in Deutschland erneut auf die erforderlichen Kriterien geprüft wird.

Der Sprecher sagt, dass er von keinem Antrag wisse, der abgelehnt worden sei. Am 11. September landet schließlich das erste Flugzeug mit 107 Flüchtlingen in Hannover. 300 andere sind bereits seit Juli selbstständig eingereist, 850 weitere Anträge werden momentan bearbeitet. Doch Ali Moraly hat dieses Programm nicht geholfen.

Bis 15. Oktober muss eine Lösung her

Er klappert sämtliche Ämter und deutsche Botschaften ab. Auch die Kieckbuschs absolvieren einen Behördenmarathon. Doch irgendwie will - oder kann? - keiner helfen. Nur über ein Künstlervisum kommt Ali Moraly schließlich nach Deutschland. Gemeinsam mit Uli Johannes Kieckbusch will er in den kommenden Wochen Konzerte geben. Das Visum läuft am 15. Oktober wieder ab. Bis dahin muss eine Lösung her. So lange will Ali Moraly das Beste aus seiner Situation machen.

Musizieren, von der deutschen Klassikszene lernen, vielleicht auch ein paar fremde Einflüsse aus seiner Heimat einfließen lassen. Gerne würde er Benefizkonzerte für seine Landsleute geben und den Menschen in Deutschland für die humanitäre Kathastrophe in Syrien die Augen öffnen.

Ob er nach dem Bürgerkrieg wieder zurückgehen will, wird Moraly gefragt. Das Wort Bürgerkrieg mag er nicht. "Es sind nicht die Syrer, die sich bekämpfen, es ist der Staat, der sich gegen seine Bürger stellt." Aber natürlich wolle er wieder in die Heimat zurück, wenn die Kämpfe vorbei sind, "am liebsten morgen schon". Und bis dahin wird sein Hab und Gut weiterhin in dem mittelgroßen, hellbraunen Koffer aufbewahrt werden.