Entwicklung: Strukturdaten eilen von Rekord zu Rekord / Zugleich vollzieht sich ein grundlegender Wandel in den Branchen

Die Wirtschaft in den Landkreisen Zollernalb, Reutlingen und Tübingen läuft auf Hochtouren, die Strukturdaten kennen derzeit nur eine Richtung: von Rekord zu Rekord. Ein Blick auf das kleine Wirtschaftswunder in der Region Neckar-Alb.

Zollernalbkreis. Der Region geht es gut, ausgesprochen gut. Das hat natürlich mit der aktuellen Wirtschaftslage zu tun, aber auch mit grundlegenden strukturellen Veränderungen in der heimischen Wirtschaft. Aus Sicht von Wolfgang Epp, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Reutlingen (IHK), ist die Region auf dem Weg zur Wissensgesellschaft. "Wir verfügen über technologieintensive Industrien, nutzen immer besser das Potenzial aus Forschung und Entwicklung und entwickeln wissensbasierte Dienstleistungen."

Schaut man in die Daten, sticht die aktuelle Wirtschaftslage ins Auge. Der regionale Konjunkturklimaindex der IHK steht derzeit bei 144 Punkten – und liegt damit deutlich über seinem langjährigen Mittel von 116 Punkten. Seit Anfang 2015 hat der dreimal im Jahr erhobene Index keinen Rückgang mehr hinnehmen müssen.

Boom beim Export, quasi Vollbeschäftigung

Unmittelbar zu der sehr gut laufenden Konjunkturlage gehören zwei weitere Faktoren. Zum einen der Boom beim Export. Innerhalb von fünf Jahren hat die Region ihren Außenhandelsumsatz von 5,5 (2011) auf zuletzt 8,3 Milliarden Euro steigern können. Die Hälfte der Industrieproduktion in der Region Neckar-Alb, zu der die Landkreise Zollernalb, Tübingen und Reutlingen gehören, wird mittlerweile ins Ausland geliefert. Produkte "Made in Neckar-Alb" sind gefragter denn je.

Zum anderen liegt die Arbeitslosenquote auf ihrem niedrigsten Stand seit dem Jahr 2000. Mit knapp 3,5 Prozent (2016) kommt die Region (Land: 3,8 Prozent) auf einen Wert, der aus Sicht der IHK faktisch als Vollbeschäftigung zu bezeichnen ist. Die Region Neckar-Alb erreicht eine nie dagewesene Rekordbeschäftigung: Derzeit sind 252 115 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind fast 14 Prozent mehr als im Jahr 2008.

Dabei hat sich die Beschäftigungsstruktur seit Mitte der 1970er-Jahre fundamental geändert. Arbeiteten damals noch etwa 150 000 Menschen im produzierenden Gewerbe und 65 000 im Dienstleistungssektor, haben sich die Verhältnisse zwischenzeitlich gedreht: Laut den Zahlen aus dem Jahr 2016 sind 155 000 Menschen im Dienstleistungssektor tätig und 96 000 im produzierenden Gewerbe.

Damit vollzieht die Region einerseits einen Strukturwandel, wie er auch andernorts zu beobachten war. Andererseits machen die Zahlen deutlich, dass die Region Neckar-Alb nach wie vor über einen starken industriellen Kern verfügt: Textil, Maschinenbau, Automotive und Medizintechnik sind die prägenden industriellen Branchen.

Zu den neuen Stärken der Region gehört mittlerweile die IKT-Branche (Information- und Kommunikation). Ihr Anteil hat sich seit Mitte der 90er Jahre mehr als verdoppelt. Zum Vergleich: 1934 stellte die Textilindustrie noch die Hälfte aller industriellen Arbeitsplätze in der Region. "Die diversifizierte Wirtschaftsstruktur, die vorwiegend familiengeführten Betriebe und die Neigung der Menschen zum Tüfteln sind über Jahre wesentliche Erfolgsfaktoren", sagt Epp.

Das aktuelle Wirtschaftswunder ist auch an den jüngsten Strukturdaten abzulesen. Die Wirtschaftskraft, das ist das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, ist seit der Jahrtausendwende von knapp 24 392 Euro um 36 Prozent auf 33 146 Euro geklettert. Die Bruttowertschöpfung, das ist der Gesamtwert aller produzierten Waren und Dienstleistungen, legte im gleichen Zeitraum ebenfalls deutlich zu: Im produzierenden Gewerbe von sechs auf acht Milliarden Euro, im Bereich der Dienstleitungen von 8,8 auf 12,4 Milliarden Euro.

Auch im Landesvergleich kann sich die Entwicklung der Region sehen lassen. Bei der Investitionsquote im verarbeitenden Gewerbe, das sind die Kaufinvestitionen im Verhältnis zum Umsatz, liegt Neckar-Alb mit 3,8 Prozent vorn. Der landesweite Schnitt erreicht 3,4 Prozent. Damit einher gehen auch die betrieblichen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Die regionalen Betriebe haben sie seit Mitte der 1990er-Jahre mehr als verdreifacht. Auf Landesebene beträgt der Steigerung nur das knapp Zweieinhalbfache. "Investitionen in Wissen haben in unserer Region in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, weil Unternehmen nur über Know-how und Innovationskraft im globalen Wettbewerb bestehen können", so Wolfgang Epp.

Die ordentliche Position bei der Wissensentwicklung belegt auch der Innovationsindex des Statistischen Landesamts, der das regionale Investitionspotenzial abbildet. Von 2014 auf 2016 hat sich Neckar-Alb von Rang sieben auf Rang fünf der zwölf Regionen in Baden-Württemberg vorarbeiten können. "Der starke Sprung nach vorn ist auf die wachsende Technologiekompetenz der Region zurückzuführen", sagt der IHK-Hauptgeschäftsführer.

Dazu gehören aus seiner Sicht insbesondere die enormen Investitionen in neue Bereiche wie die Künstliche Intelligenz, das autonome Fahren und die Elektromobilität. Außerdem legen Medizintechnik, Biochemie, Sensortechnik und die technischen Textilen überdurchschnittlich zu. "All diese Entwicklungen sind maßgeblich prägend für die weitere Zukunft", so Epp, und: "Die Region Neckar-Alb ist bei vielen dieser Themen mit Keimzelle. Neue Projekte wie das Cyber-Valley sind Meilensteine, die uns einen weiteren Schub geben."

Ebenfalls positiv: Die Firmen vernetzen sich immer stärker untereinander und mit der regionalen Wissenschaft. Die IHK bietet dafür allein mehr als 40 Branchen- und Berufsnetzwerke. Mit Netzwerken für virtuelle Kraftwerke, hochpräzise Echtzeitnavigation, das "erfinderische Lernen" oder Forschung und Entwicklung "sind wir mittendrin im Innovationsgeschehen", so Epp.

Dass die Region Neckar-Alb floriert, ist auch an der Bevölkerungsentwicklung abzulesen. Der Saldo aus Zu- und Fortzügen ist überaus positiv: In den Jahren 2012 und 2013 kamen jeweils mehr als 3000 Einwohnern neu hinzu; 2014 waren es sogar 5600, 2016 mehr als 10 000.

Die Attraktivität der Region als Arbeitsplatz belegen auch die Pendlerzahlen. Mehr als 35 000 Personen pendeln jeden Tag in die Region ein. Dieser Wert hat zwischen den letzten beiden Pendler-Erhebungen um mehr als zehn Prozent zugenommen – das gilt für alle drei Landkreise.

Damit das Wirtschaftswunder auf Dauer erhalten bleibt, muss sich die Region indes nach Meinung der IHK weiter entwickeln: Die Digitalisierung gehöre zu den großen Herausforderungen. Branchen wie Industrie oder Handel müssten ihre Prozesse völlig neu aufstellen. Das jüngste Prognos-Gutachten im Auftrag der IHK zeigt außerdem Engpässe bei Fachkräften sowie der Verkehrs- und Breitbandinfrastruktur.

Dienstleistungen gewinnen an Bedeutung

Die wirtschaftliche Entwicklung in der Region Neckar-Alb zeigt sich immer wieder im Wandel: So erleben Anfang des 19. Jahrhunderts Schäferei und Ackerbau ihre Blütezeit. Mit der aufkommenden Industrialisierung und dem Bau der Eisenbahn verändern sich beide Bereiche grundlegend. Einerseits löst sich die Landwirtschaft von ihrem Fokus auf lokale Selbstversorgung, andererseits führt die Mechanisierung zum Aufkommen erster industrieller Strukturen rund um die Textilien. Spätestens mit dem Ende des 19. Jahrhunderts kommt es zu einer umfassenden Industrialisierung der Region, in der die Textilindustrie eine vorherrschende Rolle einnimmt. Diese hält bis in die 1970er-Jahre an. Konkurrenz aus Asien und Osteuropa verdrängt allerdings große Teile der heimischen Anbieter.

Der Maschinenbau und die automobile Zulieferindustrie werden zu führenden Branchen des produzierenden Gewerbes. Zugleich gewinnen die Dienstleistungsbranchen an Bedeutung. Mittlerweile wird die IKT-Branche in der Region immer wichtiger. Industrie 4.0 und Anwendungen rund um die Künstliche Intelligenz zählen zu den kommenden Branchen.