Der Groll Edekas gegenüber dem Balinger Rathaus geht aus einem Schreiben hervor, das das Unternehmen bereits im Februar an Oberbürgermeister Helmut Reitemann sowie an alle Mitglieder des Gemeinderats geschickt hat. Foto: Gambarini

Unternehmen wirft Stadtverwaltung im Zusammenhang mit Real-Vorhaben Schlingerkurs vor. Mit Kommentar

Balingen - Geschäftsleute und Diplomaten sprechen eine eigene Sprache. Wenn sie sagen, sie seien irritiert, dann meinen sie, dass sie stinksauer sind. Genau so äußert sich Edeka gegenüber der Balinger Stadtverwaltung und dem Gemeinderat mit Blick auf die vom Konkurrenten Real im Gewerbegebiet Gehrn geplante Zusammenführung der beiden Märkte.

Der Groll Edekas gegenüber dem Balinger Rathaus geht aus einem Schreiben hervor, das das Unternehmen bereits im Februar an Oberbürgermeister Helmut Reitemann sowie an alle Mitglieder des Gemeinderats geschickt hat und das unserer Zeitung vorliegt. Im Kern wirft der Handelsriese, mit Bizerba in Balingen mittlerweile der größte Arbeitgeber, der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat in der aktuellen Diskussion um die von Real auf Gehrn beabsichtigte Neuaufstellung einen Schlingerkurs sowie fehlende Verlässlichkeit vor. Verfasst haben das Schreiben Wolfgang Seiler, Geschäftsbereichsleiter Expansion bei Edeka, sowie Frank Meng, Regionalleiter Expansion Süd. Den Schlingerkurs umschreiben sie darin mit dem Begriff "Bewusstseinswandel".

Gemeint ist damit das Ansinnen der Stadtverwaltung, die Zusammenführung der beiden Real-Märkte unter ein gemeinsames Dach sowie insbesondere die Umsiedlung des Real-Lebensmittelsortiments an den Standort des jetzigen Non-Food-Markts möglich zu machen. Im Januar hat der Gemeinderat das entsprechende Bebauungsplanverfahren eingeleitet – obwohl dem Vorhaben geltendes Planungsrecht, insbesondere auch die Balinger Einzelhandelskonzeption, entgegensteht: Lebensmittel dürfen am Non-Food-Standort nicht verkauft werden.

Genau darauf pocht nun Edeka – mit Verweis auf mehrere Gespräche mit der Stadtverwaltung vor dem Jahr 2009. Damals hatte Edeka den Standort des jetzigen Real-Lebensmittelmarkts gekauft, und aus dem Rathaus habe es die klare Aussage gegeben, dass die Stadt an der Einzelhandelskonzeption festhalten wolle und auch in der Zukunft keine Änderung der bestehenden Bebauungspläne auf Gehrn unterstützen werde.

Dass es nun anders kommt, dass die Stadtverwaltung sich für den Erhalt des Real-Lebensmittelsortiments auf Gehrn ausspricht und dafür geltendes Planungsrecht ändern will, entsetzt Edeka: Diese Anstrengungen, schreiben Seiler und Meng, seien "über Jahre hinweg undenkbar erschienen", sie bedeuteten eine "komplette Abkehr von der Politik der vergangenen 25 Jahre" und damit der Einzelhandelskonzeption, der Balingen seine starke Stellung als Einkaufsstadt samt attraktiver City verdanke. Indirekt legen die Edeka-Vertreter OB Reitemann und dem Gemeinderat nahe, von den begonnenen Planungen Abstand zu nehmen: Edeka habe sich in den vergangenen Jahrzehnten stets als verlässlicher und vertrauensvoller Geschäftspartner in Balingen gezeigt, "da erscheint es adäquat, diese Verlässlichkeit ebenfalls von Ihnen zu erfahren."

Neben der grundsätzlichen Kritik verweisen Seiler und Meng in dem Schreiben auch auf die umfangreichen Investitionen, die Edeka in den vergangenen Jahren in Balingen getätigt hat. Mehrere Millionen Euro habe das Unternehmen in die Nahversorgungsstrukturen gesteckt, zuletzt in den Neukauf in Frommern sowie den Markt im Zentrum Neige. Diese Strukturen würden durch die anvisierte Neuaufstellung des Real-Markts auf Gehrn samt Lebensmitteln gefährdet, schreiben Seiler und Meng. Als "Verharmlosung der Realität" kritisiert Edeka die Argumentation der Stadtverwaltung, dass der neue Real-Markt gegenüber der jetzigen Verkaufsflächengröße in den beiden Märkten deutlich reduziert ausfallen würde: Dabei bleibe unberücksichtigt, dass am Standort des jetzigen Lebensmittelmarkts von Real ein Neukauf entstehen soll – und sich demzufolge das Lebensmittelangebot nicht reduzieren, sondern um ein Vielfaches vergrößern würde.

Ihre Argumente haben Vertreter von Edeka nach Informationen unserer Zeitung mittlerweile auch in den Fraktionen des Balinger Gemeinderats vorgetragen. Das Gremium hatte das Bebauungsplanverfahren, mit dem das Real-Vorhaben eingetütet werden soll, im Januar mit großer Mehrheit unterstützt. Inzwischen mehren sich indes Bedenken – nicht nur wegen des Edeka-Besuchs, sondern auch wegen der rechtlichen Gegebenheiten, auf die insbesondere das Regierungspräsidium Tübingen pocht. Von Seiten der Balinger Stadtverwaltung ist nun von "Modifikationen" des Bebauungsplan im weiteren Verfahren die Rede; diese beträfen wohl die Größe der künftigen Real-Verkaufsfläche sowie die Sortimentsliste.

Kommentar: Starkes Stück

Von Steffen Maier

Wenn es stimmt, was Edeka anführt, dann hat die Balinger Stadtverwaltung nicht nur einen "Bewusstseinswandel" hinter sich. Das Vorhaben von Real zu unterstützen, das entgegen geltendem Planungsrecht und der Einzelhandelskonzeption das Lebensmittelsortiment umsiedeln möchte, wäre ein glatter Wortbruch – und ein starkes Stück auch gegenüber anderen Händlern und Gewerbetreibenden. Begangen möglicherweise in allerbester Absicht. Schließlich geht es hier um etliche Arbeitsplätze und nicht zuletzt auch um die Interessen der Kunden. Mehr als 8000 Unterschriften belegen es: Sie hätten sehr gerne Real samt Lebensmitteln auch in Zukunft auf Gehrn. Mit ihrem Schlingerkurs tut die Stadtverwaltung sich selbst keinen Gefallen. Nicht nur heizt sie damit den Handelskrieg weiter an, sie schadet letztlich Balingen als Einkaufsstadt.