Kristina Reichle steht in der Tür des Pfarramts der evangelischen Stadtkirchengemeinde – demnächst muss sie sie schließen. Wegen vielen Baumängeln zieht die Pfarrerin und das Pfarramt an den Binsenbol. Foto: Maier

Gebäude der Stadtkirchengemeinde stark sanierungsbedürftig. Arbeiten seit Jahren nicht erledigt.

Balingen - "Kommen Sie nur herein", sagt Kristina Reichle, "nehmen Sie eine Nase von der guten Raumluft". Die Pfarrerin führt ins Wohnzimmer des Gebäudes an der Hermann-Rommel-Straße in Balingen, in dem seit mittlerweile fast acht Jahrzehnten das Pfarramt der Stadtkirchengemeinde untergebracht ist und in dem Reichle mit ihrer Familie seit dem Jahr 2002 lebt. Es riecht nach Schwarzwälder Schinken. Der Geruch dringt über den feuchten und verschimmelten Kamin durch den Ofen ins Zimmer ein.

Fans der Schwarzwälder Spezialität würden das vielleicht lecker finden, Kristina Reichle dagegen kann es nicht mehr riechen, darf es auch nicht mehr. Neben den vielen Schimmelstellen im ganzen Haus, neben den abblätternden Tapeten, neben der sich stellenweise senkenden Decke, neben den vergammelten Fußleisten, aus denen im Erdgeschoss mitunter fröhlich Asseln ins Büro wuseln, ist der Schinkengeruch ein weiteres offenkundiges Zeichen dafür, dass das Pfarrhaus im jetzigen Zustand eigentlich nicht mehr bewohnbar ist. Schlimmer noch: Dieses Haus macht seine Bewohner und diejenigen, die wie Reichle darin leben und arbeiten, krank.

Schimmel verursacht Bronchialasthma

Die Stadtkirchenpfarrerin hat das schwarz auf weiß: Das Attest ihres Arztes bescheinigt ihr, dass sich bei ihr wegen des Schimmels im Pfarrhaus ein Bronchialasthama entwickelt habe. Zudem sei ihr Blutbild "verheerend", sagt Reichle: Laut Empfehlung der Ärzte müsste sie, weil sie mittlerweile sehr anfällig für Krankheitserreger sei, Kontakt zu Mitmenschen auf das absolut notwendige Minimum reduzieren. Das ist indes schwer für eine Frau, deren Beruf es mit sich bringt, Kontakt zu möglichst vielen Menschen zu haben. "Es ist ein Alptraum", sagt Reichle.

Damit es mit der Gesundheit der Pfarrerin zumindest nicht schlimmer wird, zieht Reichle nun um. Vom Heuberg geht es im Laufe der nächsten Wochen hinüber auf die andere Seite der Stadt, wieder an einen Berg: An der Robert-Mayer-Straße 22 auf dem Binsenbol wird sie vom Frühherbst an wohnen und arbeiten, dort wird auch das Pfarramt der Stadtkirchengemeinde untergebracht. In einem Übergangsquartier, was eigentlich so nicht vorgesehen ist. Das Attest des Arztes aber und die damit einhergehende Befreiung Reichles von der Dienstwohnpflicht machen es notwendig und möglich.

Die Geschichte der Krankheit der Pfarrerin und ihres bevorstehenden Umzug ist derweil eng verbunden mit derjenigen, die von dem jahrelangen Hickhack zwischen den zuständigen Behörden im Zusammenhang mit der Sanierung des Hauses erzählt. Eigentümerin des Gebäudes ist das Land Baden-Württemberg, das Geistlichen wie Reichle "mängelfreie" Dienstwohnungen zur Verfügung stellen muss. Zuständig für die Balinger Dienstwohnung ist das Tübinger Amt für Vermögen und Bau. Allerdings gebe es ein stetes Hin und Her zwischen den Tübingern und dem Oberkirchenrat, es gehe dabei fast immer ums Geld.

Dass das Gebäude baufällig ist, ist laut Reichle seit Jahren bekannt – nur getan hat sich in all den Jahren nichts grundlegendes. Tatsächlich stammt vieles in dem Haus am Heuberg noch aus dem Baujahr, 1937, die Fenster etwa.

Seitdem gab es zwar einige Schönheitsreparaturen, vieles wurde indes auch verschlimmbessert: Im Jahr 2006 beispielsweise wurde laut Reichle die Nordseite der Fassade isoliert – dies aber mit der Folge, dass es im ganzen Gebäude nur noch feuchter wurde. Unter dem Haus befinden sich Luftschutzkeller aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, darin sei es, sagt Reichle, trockener als auf der Bühne.

Viele Balinger rümpfen laut Reichle die Nase, wenn sie das Pfarramts-Gebäude sehen, und das hängt nicht nur mit der Fassadenfarbe zusammen, die eine Architektin einst "zur Profilierung" auftragen ließ: rot-rosa. Das Haus verlottere insgesamt immer mehr. Das fange schon mit der Garage direkt an der Straße an, von der großflächig der Putz abblättert und in deren Innern es auch nicht besser aussieht: Gelagert habe sie dort schon lange nichts mehr; es sei in der Garage so schimmelig, dass sogar alle Spinnen gestorben seien, sagt Reichle.

Umzug an Binsenbol steht bevor

Derzeit ist die Stadtkirchenpfarrerin neben ihren seelsorgerischen und administrativen Tätigkeiten stark damit beschäftigt, den Umzug zu organisieren, ihr halbes Büro ist bereits in Kartons verpackt. Die besondere Herausforderung ist, genau darauf zu achten, was sie in den nächsten Monaten unbedingt braucht: Das Übergangsquartier ist kleiner als das jetzige Pfarrhaus, weshalb Reichle an ihre Utensilien grüne und rote Aufkleber anbringt. Alles Grüne kommt mit an den Binsenbol, das Rote wird in einem Möbellager in Albstadt zwischendeponiert.

Wie lange sie an der Übergangsadresse sein wird? Das kann Reichle nicht sagen, nur spekulieren: "Ich gehe von mindestens einem Jahr aus." Alles hänge davon ab, wie schnell die Arbeiten an dem Pfarramts-Gebäude an der Hermann-Rommel-Straße erledigt werden; noch sei überhaupt unklar, wann und ob sie überhaupt beginnen. Laut Reichles Einschätzung muss das Gebäude von Grund auf saniert werden. Sie wolle dereinst auf jeden Fall gerne wieder zurück vom Binsenbol an den Heuberg, zurück in die Nähe der Stadtkirche, nahe an ihre Gemeinde. Das Gebäude sei, so Reichle, "immer Pfarramt gewesen".

Nun ja, fast immer: 1937 wurde es gebaut. Bis dahin war das Pfarramt der Stadtkirchengemeinde Am Spitaltörle zuhause, an der Ecke des heutigen Marktplatzes. Das Gebäude wurde – Geschichte wiederholt sich – einst aufgegeben, weil es darin zu feucht und schimmelig war.