Öffentlich: Am Amtsgericht Hechingen wird derzeit gegen ein Elternpaar verhandelt, das laut Anklage seine Tochter fast verhungern ließ. Foto: Archiv

Sozialpädagoge des Jugendamts sagt vor Gericht gegen Eltern aus, die ihr kleines Mädchen fast verhungern ließen.

Hechingen/Balingen - Wie hatte es dazu kommen können, dass ein heute dreijähriges Mädchen fast verhungert wäre? Im Prozess gegen die Eltern, eine 36-Jährige und ihren getrennt lebenden 42-jährigen Ehemann, sagte am Mittwoch der Sachbearbeiter des Kreisjugendamts aus.

Wie berichtet, stehen die beiden vor dem Hechinger Amtsgericht, weil sie durch Unterlassung eine Schutzbefohlene gequält und in einen lebensbedrohlichen Zustand versetzt haben sollen.

Anfang 2009 habe er die Familie zum ersten Mal besucht, sagte der 48-jährige Sozialpädagoge im Zeugenstand aus. Das Jugendamt habe einen Hinweis bekommen, und laut Gesetz sei das Amt verpflichtet gewesen, dem nachzugehen. Er habe versucht, mit den Eheleuten ins Gespräch zu kommen. "Aber ich hatte das Gefühl, hier waren wir nicht willkommen."

Die Kinder habe er bei dem Besuch nicht zu Gesicht bekommen, habe nur gehört, wie sie im oberen Stockwerk mit der Großmutter spielten. Die Hefte mit den Regeluntersuchungen beim Kinderarzt habe man ihm nicht gezeigt. Man habe nicht zum Arzt gehen müssen, die Kinder seien ja nicht krank gewesen, hieß es.

"Nie dagewesener Rosenkrieg entbrannte"

Von der 2011 geborenen dritten Tochter der Familie habe er erst erfahren, als der Sozialdienst der Reutlinger Kinderklinik anrief: Das Kind sei aufgebläht, habe Eiweißmangel, sehe ausgehungert aus. "Es hatte eine massive Fehlernährung gegeben." Zur lebensbedrohlichen Situation durch Mangelernährung seien Pilz- oder Bakterieninfektionen gekommen: "Mit 15 Monaten war das Kind nicht in der Lage, frei zu sitzen oder sich vom Bauch auf den Rücken zu drehen." In der Folge kam das Kind in eine Pflegefamilie, ein gesetzlicher Vormund wurde bestimmt, die Eltern trennten sich, ein "nie dagewesener Rosenkrieg entbrannte".

Der Vater der Kleinen habe ihm gesagt, dass er erst wahrgenommen habe, sagte der Mitarbeiter des Jugendamts, in welch schlimmem Zustand seine Tochter war, als er sie in der Reutlinger Kinderklinik auf dem Untersuchungstisch gesehen habe. Seine Frau habe er als "überfürsorgliche Übermutter" wahrgenommen. Aber bedeutet das, dass die Kinder bis zum Schulalter einzeln vom Auto ins Haus getragen und jedes Mal desinfiziert werden müssen? Bedeutet es, dass sie keinen Kontakt zu anderen Kindern haben dürfen und sich die Nasen am Fenster plattdrücken müssen, wenn die anderen draußen spielen? Dass Türklinke und Schuhe sorgfältig mit Desinfektionsmittel besprüht werden? Dass man mit keinem Nachbarn ein Wort wechselt, die Lebensmittel nicht im Laden kauft, sondern nur im Internet bestellt und zu den Großeltern mütterlicherseits liefern lässt? Dass Spielsachen im Gefrierschrank liegen, zur Desinfektion? Dass die Großeltern väterlicherseits unerwünscht sind und die kleine Enkeltochter kein einziges Mal zu Gesicht bekamen? Und dass ihre Geschenke unausgepackt im Keller liegen? Aus Sicht der Eltern kein Grund zur Sorge.

Zwei Zeuginnen – ehemalige Nachbarinnen der Familie – bestätigten weitgehend, dass die Angeklagte alles desinfiziert habe, dass die Kinder nicht draußen spielen durften und dass es keinen Kontakt zwischen den Nachbarn gegeben hatte.

Die beiden Angeklagten blieben weiterhin stumm. Die Verhandlung wird am Donnerstag, 13. November, um 8.30 Uhr fortgesetzt.