Vor dem Hechinger Amtsgericht müssen sich seit Mittwoch zwei Eheleute aus dem Zollernalbkreis verantworten. Der Vorwurf: schwere Kindesmisshandlung. Foto: Archiv

Tübinger Kinderarzt stellt lebensbedrohlichen Zustand fest. Mädchen mit 15 Monaten nur 5800 Gramm schwer.

Hechingen/Balingen - Die Vorwürfe wiegen schwer: Eine 36-Jährige und ihr mittlerweile getrennt lebender 42-jähriger Ehemann stehen vor dem Hechinger Amtsgericht, weil ihre kleine Tochter fast verhungert ist.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft: eine Schutzbefohlene durch Unterlassung gequält und in einen lebensbedrohlichen Zustand versetzt zu haben. Die 2011 geborene Tochter, das dritte Kind der Familie, habe nur unzureichend Nahrung bekommen, sagte Staatsanwältin Nicole Luther. Im Dezember 2012 sei sie schwach und apathisch gewesen, dennoch habe die Familie keinen Arzt aufgesucht. Als dann wegen einer Hauterkrankung ein Kinderarzt aufgesucht worden sei, habe der eine gravierende Unterentwicklung festgestellt: Mit 15 Monaten sei die Kleine gerade mal 69 Zentimeter groß gewesen und habe 5800 Gramm gewogen, habe nicht stehen und sitzen können. Der Zustand sei lebensbedrohlich gewesen, das Kind, das inzwischen bei einer Pflegefamilie lebt, habe in der Kinderklinik künstlich ernährt werden müssen, über Katheter und Magensonde.

Beide Angeklagten wollten am ersten Verhandlungstag keine Fragen beantworten. Ihre Verteidiger verlasen Erklärungen zu den Vorwürfen. Es stehe außer Frage, dass der Gesundheitszustand des Kindes erheblich beeinträchtigt gewesen sei, heißt es in der Erklärung der Frau. Es sei nicht auszuschließen, dass sie das mit verursacht habe, aber sie habe die Ernährung des Kindes nicht bewusst vernachlässigt und könne sich bis heute nicht erklären, was sie falsch gemacht habe.

Sie habe das Kind vegetarisch ernährt. Denkbar, dass das eine einseitige Ernährung gewesen sei. Den Brei habe sie mit Wasser statt mit Milch angerührt, weil das Kind keine Milch zu sich genommen habe. "Die Kleine hat nicht geweint oder Auffälligkeiten gezeigt." Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass es "so akut" war, sonst hätte sie entsprechend reagiert.

Der Verteidiger brachte es auf den Punkt: "So, wie es war, hätte es nie sein dürfen."

Auch in der Erklärung, die der Rechtsanwalt des Mannes verlas, kam Bedauern zum Ausdruck: Für ihn sei nicht nachvollziehbar, wie es dazu kommen konnte, ihm sei nie bewusst gewesen, dass das Kind unterernährt sein könnte. Beruflich sei er viel unterwegs, zudem sei er mit dem Bau des Eigenheims beschäftigt gewesen. Seine Frau habe er als "sorgende Mutter" wahrgenommen, die auf Reinlichkeit und Ernährung geachtet habe. Die anderen beiden Kinder hätten sich gut entwickelt. Über Größe und Gewicht der kleinen Tochter habe er sich keine Gedanken gemacht.

Der Vorsitzende Richter Ernst Wührl gab sich mit den Erklärungen nicht ganz zufrieden. Wichtig sei es, zu klären, "wie es dazu kommen konnte", sagte er.

Der forensische Psychiater, der wegen eines Gutachtens um einen Gesprächstermin mit den beiden Angeklagten gebeten hatte, konnte mit keinem der beiden sprechen. Sein umfangreiches Gutachten, das er den Prozessbeteiligten aushändigte, stützte sich allein auf die Prozessakten. Jetzt sollen Zeugen Licht ins Dunkel bringen, darunter der Leiter der Schule, die die beiden älteren Kinder besucht haben, und die Ärzte, die den lebensbedrohlichen Zustand des kleinen Mädchens feststellten.

Die Verhandlung wird Mittwoch, 5. November, ab 9 Uhr fortgesetzt. Sieben Verhandlungstage sind vorgesehen.