Seine Sicht auf Balingen, Deutschland und die Welt: Kabarettistischer Rückblick mit Boris Retzlaff im "Sonnenkeller"

Von Julius Fiedler

Balingen. Seit 2007 gehört der kabarettistische Jahresrückblick mit Boris Retzlaff im Balinger "Sonnenkeller" zu den festen Terminen.

Die "Saison" der Jahresrückblicke beginnt oft schon im November. Bei ganz frühen Rückblicken darf also bezweifelt werden, ob sie tatsächlich das ganze Jahr abdecken. Eher schon konnte das Boris Retzlaff, der im Balinger Sonnenkeller das Jahr 2014 kabarettistisch Revue passieren ließ.

Seltsamerweise fielen die interessanteren Ereignisse oft in die zweite Jahreshälfte, fällt Retzlaff auf. Doch was gab es 2014 nicht alles zu erleben! Beispielsweise den Weltmeistertitel der deutschen Nationalmannschaft inklusive "Gaucho-Gate" – obwohl Retzlaff zugeben muss, dass er selten Deutsche aufrecht hüpfend und mit wedelnden Armen gehen sieht.

Auch die Geste des Jahres beobachtete Retzlaff bei der WM: das Freistoßspray. Empörend sei allerdings, dass in Brasilien darauf noch keine TÜV-Plakette war, die die Entflammbarkeit des Stoffes anmahnte – und das bei der heißen Atmosphäre im Stadion!

Nicht ganz so heiß findet Retzlaff die Atmosphäre in der Großen Koalition, auch "GroKo" genannt: "Irgendwie hat man das Gefühl, die regieren wie eine dämpfende, beruhigende Decke, die sich über ganz Deutschland legt." Die einzigen Funken versprühe die CSU, die mit ihren "Rumpelvorschlägen" ein wenig heiße Luft in die heile GroKo-Welt bringe.

Die Welt von oben konnte Alexander Gerst sehen, der Astronaut, der in keinem Jahresrückblick fehlen darf. Allerdings wunderte sich Retzlaff darüber, dass Gerst in der ISS tatsächlich Zeit für wissenschaftliche Experimente gefunden habe – bei den ganzen Facebook-Posts und Twitter-Tweets, die er Tag und Nacht aus dem All sendete.

Zum Ukraine-Konflikt schlug Boris Retzlaff nachdenkliche Töne an. Er las aus seinem Ukraine-Reisetagebuch vor, von Begegnungen mit Menschen, denen es damals schon nicht gut ging.

Dann kam die Besetzung der Krim und einiger östlicher Regionen, Russland wollte mit alledem aber nichts zu tun haben. Die Soldaten machten dort Urlaub, hieß es aus dem Kreml. "Na klar, was den sonst?", fragte Retzlaff. Anderswo würde ein Militäreinsatz an fehlender Ausrüstung scheitern. Etwa in Deutschland, wo die Bundeswehr "relativ wenig funktionierendes Material" zur Verfügung hat: "Das ist doch eine wunderbare Art der Abrüstung, wenn die Waffen vor sich hin bröseln", sagte Retzlaff.

Auch das Geld hat 2014 eine tragende Rolle gespielt, sei es bei Streiks oder vor insbesondere bayerischen Gerichten. Bernie Ecclestones Verfahren wurde gegen eine Auflage von 100 Millionen Euro eingestellt, von denen eine Million an gemeinnützige Zwecke ging und die anderen 99 an bayerische Institutionen. Retzlaff: "Kein Wunder, dass Bayern ein so erfolgreiches Bundesland ist."

Derzeit prägt noch ein ganz anderes Phänomen das Bild von 2014: "Pegida". Bei dem "großen Unzufriedenheitsevent" demonstrierten manche einfach mit, weil sie das Gefühl hätten, etwas laufe falsch – und Pegida wäre halt einfach da, so der Kabarettist. Es werde sozusagen "prophylaktisch" demonstriert: Es solle Dresdner geben, die noch nie einen Ausländer gesehen hätten.

Mit selbst geschriebenen Liedern, die mit Augenzwinkern Lösungen vorschlugen oder Probleme thematisierten, bereicherte Retzlaff seinen Jahresrückblick. Mit seiner spontanen, charmanten Art schaffte er es, das Publikum im "Sonnenkeller" humorvoll, ironisch, aber auch nachdenklich und mit ernsten Tönen noch einmal durch das zu Ende gehende Jahr 2014 zu begleiten.

Für Boris Retzlaff, 1974 geboren und in Balingen aufgewachsen, ist der Jahresrückblick im "Sonnenkeller" seit 2007 Tradition. Retzlaff passt sein Programm immer ganz aktuell an, setzt neue Pointen und Schwerpunkte.

Auch bei seinem diesjährigen Auftritt schuf er eine gemütliche, persönliche Atmosphäre – und hatte sogar Äpfel aus seinem eigenen Garten mitgebracht. Denn – wie Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sagen würde: "One apple a day keeps Putin away". Das schien politisch das Gebot der Stunde zu sein.