Abschluss der Balinger Konzerte mit dem Henschel-Quartett

Von Friedrich Dold

Balingen. Das Henschel Quartett in der Stadthalle: Das wäre allein schon ein Höhepunk für Kammermusikfreunde gewesen. Diesmal aber erweiterten vier Stipendiaten der Anne-Sophie-Mutter-Stiftung das Ensemble zum Oktett und machten das Abschlusskonzert der laufenden Saison der "Balinger Konzerte" zu einem Fest.

In diesem Jahr feiern sie ihren 20. Quartett-Geburtstag, die Geschwister Christoph und Monika Henschel, Daniel Bell an der zweiten Violine und Mathias Beyer-Karlshoj am Cello. Schleicht sich in so langer Zusammenarbeit nicht ein wenig Routine ein? Werden bei so viel Erfolg Spontaneität und Glanz im Ensemble nicht etwas matter? Keine Spur. Die Henschels agieren souverän und lebendig wie eh und je und locken jeden Zuhörer aus der Reserve.

Erstes Beispiel: Beethovens B-Dur-Quartett op. 18/6. Der Kopfsatz schien fröhlich und musikantisch, das Adagio sprechend artikuliert und schön gesungen. Das Scherzo zeigte dann den anderen Beethoven: eigensinnige Sforzati, drängende Synkopen, regelrechte Bocksprünge der ersten Geige, die hier mit Recht etwas schrill klingen durfte. Den traditionellen Menuett-Ton gibt es hier nicht. Noch beunruhigender war dann das Finale. Wohl läuft es auf ein tänzerisches Allegretto und auf ein furioses Schluss-Presto hinaus. Aber die kommen immer wieder zum Stillstand und müssen sich lösen von einem leer klingenden, schwermütigen Adagio.

"La Malinconia" – Melancholie – hat Beethoven den Satz überschrieben. Die verflog zum Glück, als vier weitere Musiker das Ensemble zum Oktett aufstockten: Sinn Yang und Peter Clemente (Geigen) Vladimir Babeshko (Bratsche) und Doo-Min Kim (Cello). Zunächst gab es fünf magische Miniaturen nach Alastair mit dem Titel "Nacht des roten Mondes". Wilfried Hiller ist der 1941 geborene Komponist, der unabhängig von herrschenden Moden eine eigene, poetisch erzählende Musiksprache gefunden hat.

Monika Henschel gab eine anschauliche Einführung und kündigte "intensive und magische dreizehn Minuten" an. Und die gab es tatsächlich. Undeutsch, glatt, ohne Tiefe und ohne Wert – so verurteilte man in Deutschland schon im 19. Jahrhundert die Kompositionen des Juden Felix Mendelssohn-Bartholdy, und in der Nazi-Zeit sowieso. Erst heute ist erkennbar, was sie wert sind – zum Beispiel der Geniestreich des 16-jährigen Mendelssohn, sein Oktett op. 20. Er hatte kein Vorbild dafür. Er stellt auch nicht einfach zwei Streichquartette gegeneinander, sondern schreibt in die Noten: "Dies Octett muss von allen Instrumenten im Style eines symphonischen Orchesterwerks gespielt werden". Und so spielten die acht Musiker – nicht kammermusikalisch zaghaft, sondern klangmächtig und mit ungezügeltem Elan.

Transparenz und klare Gliederung kamen nicht zu kurz. Großartig, wie im Kopfsatz schier aus dem Nichts in dramatischer Steigerung die Reprise erreicht und wie im Adagio der Wechsel der Harmonien zelebriert wurde. Spukhaft und elfenleicht huschte das Scherzo vorüber, kopfüber ging es ins atemlose Finale, ein Fugato, aus dem sich ein Perpetuum mobile entwickelt. Höchste Kompositionskunst – aber sie fällt nicht auf, man freut sich einfach dran.