Ein idyllisches Bild – aber nur auf den ersten Blick: 25 Gämsen tummeln sich auf einer Wiese nahe dem Albtrauf im Naturschutzgebiet Untereck oberhalb von Lautlingen und Tieringen. Nach Meinung des Ökologischen Jagdverbands gefährdet die wachsende Gamspopulation die Ziele des Naturschutzgebiets. Foto: Hajek

Ökologischer Jagdverband prangert Zustände entlang des Albtraufs an.  Problem seit Jahren bekannt.

Zollernalbkreis - Sonntagmorgen, es ist kurz nach 9 Uhr. Der Wind pfeift am Albtrauf oberhalb von Lautlingen. Christian Kirch, der Vorsitzende des Ökologischen Jagdvereins Baden-Württemberg (ÖJV), beugt sich im Wald auf den Boden: "Oh Gott, seht her", sagt er zu seinen Mitstreitern: "Alles verbissen, kaputt". Und: "Es muss einfach etwas passieren".

Kirch nimmt an diesem Tag mit seinen Kollegen vom ÖJV die Zustände im Naturschutzgebiet Untereck oberhalb von Tieringen und Lautlingen in Augenschein. Bereits am Samstag hatten sie im Rahmen einer Tagung in der Jugendherberge Lochenstein das Thema "Jagd in Schutzgebieten" beleuchtet. Das Gebiet Untereck steht beispielhaft für den Gegenstand der Tagung, da sich dort laut ÖJV in besonderem Maße die Konflikte zwischen Schalenwildhege durch Jagdausübung und Zielen des Naturschutzes in einem Naturschutzgebiet besonderer Prägung am Albtrauf und der Sicherung natürlicher Waldentwicklung zeigen.

Konkret geht es um die Gämsen in den Forstrevieren Balingen-West, Albstadt-Süd und Meßstetten. Einzelne Tiere wurden nach Angaben von Bernd Hajek nach dem Zweiten Weltkrieg dort angesiedelt. Seither haben sie sich stetig vermehrt. Mittlerweile trifft man entlang des Albtraufs große Gamsrudel an. Die Tiere verändern die Vegetation nachhaltig: In dem Naturschutzgebiet futtern sie die letzten Reste der alpinen Flora weg, die dort seit dem Ende der letzten Eiszeit überlebt haben; dazu kommen erhebliche Verbissschäden, die die Entwicklung der Wälder gefährden. Ähnliches wird laut ÖJV auch aus dem angrenzenden Oberen Donautal gemeldet.

Man wolle die Gämsen keinesfalls ausrotten, betont Michael Rüttiger, Referent für Wildtierökologie im ÖJV. Aber die Bestände entlang des Albtraufs müssten dringend reduziert werden, da ansonsten die Ziele des Naturschutzgebiets Untereck gefährdet seien. Die Jäger des ÖJV sind der Meinung, dass die Jagdausübung die Ziele des Naturschutzes grundsätzlich akzeptieren und deren Erreichung fördern muss. Das Anwachsen der Gamsbestände entlang des Albtraufs dürfe nicht zu einer weiteren Ausdehnung der Gamspopulation und der damit verbundenen negativen Entwicklungen für die Waldökosysteme und weitere Naturschutzgebiete führen.

Ganz ähnlich sieht das grundsätzlich auch das Regierungspräsidium Tübingen als für "Untereck" zuständige Naturschutzbehörde: Die "hier nicht heimischen, aus jagdlichen Gründen eingebrachten und gehegten Gämsen und Muffelbestände" seien an der "massiven Bedrohung" des Zwecks des Naturschutzgebiets in erheblichem Umfang beteiligt, heißt es in der Beschreibung der Verhältnisse in der amtlichen Schutzgebietsausweisung durch das RP. Die hohe Wilddichte verhindere nahezu vollständig die Naturverjüngung des Waldbestands und verursache gleichzeitig eine gravierende Schädigung der Kraut-‑ und Strauchschicht.

Das Problem ist seit Jahren bekannt

Was tun? Das Problem sei seit Jahren bekannt, getan habe sich allerdings wenig bis nichts, meint der ÖJV. Zwar habe man in die drohenden Schäden und den zunehmenden Verbiss durch die wachsende Gamspopulation 2014 an die Untere Forstbehörde beim Zollernalbkreis berichtet. Dort wurden laut ÖJV Verbissgutachten gefertigt, und es wurde ein höherer Abschuss bei der Jagdbehörde beantragt.

Allerdings, das zeigte die Exkursion ins Untereck-Gebiet am Sonntag, habe das bis heute keine nachhaltige Wirkung gezeigt. Überall auf ihrem Weg durch das Naturschutzgebiet finden die Jäger Anzeichen für starken Verbiss durch die Gämsen.

Dieser unhaltbare Zustand dränge seit langer Zeit nach Verändeurng – allerdings reagierten die zuständigen Behörden nicht angemessen, sagt ÖJV-Vorsitzender Kirch.

Der ÖJV fordert deshalb nun mit Nachruck, dass sich die Behörden und die Jäger im Verbund mit den Waldeigentümern des Problems annehmen. Die Zahl der Gämsen müsse auf ein dem Naturschutz entsprechendes Maß zurückgeführt werden, nicht nur im Naturschutzgebiet selbst, sondern auch in angrenzenden Arealen. Regelmäßig müssten Verbissgutachten angefertigt werden. Falls Jäger sich nicht an die Abschusszahlen hielten, müsse man auch über Sonderkündigungsrechte für Jagdpachten sprechen.

Ziel des ÖJV ist es nun, einen Runden Tisch zu installieren, mit allen Beteiligten: Waldeigentümern, Jägern, Behörden, Naturschützern. Der Nachbarlandkreis könne Vorbild sein: In Sigmaringen wurde eine solche Runde bereits ins Leben gerufen. "Wir müssen eine Begrenzung der Gamsbestände im Gebiet Untereck hinbekommen", sagt Christian Kirch. "Dringend."