Der Chor des Vereins Zuflucht singt in der Balinger Stadthalle. Foto: Klebitz

Mutige Version: Mezzosopranistin Cornelia Lanz interpretiert Mozarts Cosi fan tutte mit syrischen Asylbewerbern als Chor.

Balingen - Mozarts Oper "Cosi fan tutte – So machen es alle" ist ein Garant für amüsante Unterhaltung. In der Version von Cornelia Lanz singen Frauen, Männer und Kinder, die gerade erst eine schmerzhafte Flucht aus ihrer Heimat Syrien hinter sich haben, den Chor. Eine ungewohnte, mutige Verbindung.

Schon der Beginn ist stark: Ein junger Mann und eine junge Frau – sie trägt ein Kopftuch – betreten die Bühne. Es ist vollkommen still im Saal. Die beiden tragen ein Gedicht vor – in ihrer Heimatsprache. "Ich schreibe für die Jungen", ist in der Übertitelung zu lesen.

Flucht, verlorene Heimat, Erinnerung. Ein schweres, bedeutungsvolles Thema. Es wird in den folgenden drei Stunden tragend sein. Und dennoch wird die Inszenierung die Zuschauer in der Stadthalle nicht erdrücken vor lauter Schwere.

Das Team hat Mozarts Oper ins Asylbewerberheim verlegt. Tische und Stühle stehen auf der Bühne kreuz und quer, Profisänger wie Florian Götz (Guglielmo) und Yongkeun Kim (Ferrando) schlendern in Jogginganzug und in Cargohosen umher. Kinder spielen an Handys.

Inmitten dieser Szenerie formieren sich Opernsänger und Flüchtlinge – auch drei aus Balingen sind dabei – zu einem Chor. "Janna" von Ibrahim Khashush ist ein Lied für den Frieden. Es erzählt vom Paradies Syrien, der Heimat, der Liebe der Flüchtlinge. Es ist ein bewegender Moment. Kinder singen inbrünstig, einige ältere Frauen haben Tränen in den Augen.

Auch zwei Zuschauerreihen im Saal haben Flüchtlinge gefüllt. Mit der ganzen Familie sind sie gekommen, um an diesem Integrationsprojekt teilzuhaben. Ein kleiner Junge schläft während der Vorführung auf dem Schoß seiner Mutter ein.

Auf der Bühne zeigen sich die Frauen Fotos ihrer Männer, in der Küche gibt es einen Streit. Langeweile. Die Idee für eine Wette entsteht: Ferrando und Guglielmo setzen alles auf die Treue ihrer Frauen (Cornelia Lanz und Anne Wieben).

Die sind erfüllt von Schmerz, als ihre Verlobten weg müssen aus dem Heim, in den Krieg. Sterben wollen sie, weil die schlechten Gefühle sie zu zerstören drohen.

Eine Betreuerin (Julia Chalfin) ist alles andere als vorurteilsfrei: Die Asylanten im Heim würden ihr alles wegessen, beklagt sie sich. Das bringt die beiden Frauen auf ganz neue Gedanken: "Habt Spaß!" Ihre davongezogenen Männer sollen sie einmal vergessen, das Beste aus dem Leben machen.

Die Frauen legen langsam ihr Kopftuch ab, stöckeln in Highheels umher. Ein bisschen Spaß scheint tatsächlich angenehmer als die Trauer.

Dennoch: ein schlechtes Gewissen, Zweifel kommen auf. Das Verantwortungsbewusstsein meldet sich. Nein, es geht nicht. Die beiden können sich nicht auf andere Liebhaber einlassen. Sie müssen treu bleiben. Treu zu ihrer Liebe, dürfen sie nicht verraten, trotz der neuen Situation, die überfordert. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich: Mozarts leicht erzählte Oper über Liebestumulte und die Geschichte und Gefühlswelt syrischer Flüchtlinge, die könnte man auf der Bühne nicht besser zusammenbringen.

Ihre Liebe, das "Paradies Syrien" verraten in der neuen Heimat? Nein. Das kommt für die eigentlichen Hauptdarsteller nicht in Frage. Und dennoch können und müssen sie das Beste aus der Situation machen.

In weißen T-Shirts, auf die die Namen zerstörter syrischer Städte gedruckt sind, kommt die Gruppe zum Schluss noch einmal gemeinsam auf die Bühne. Sie ruft zum Frieden auf: "Genug Krieg, genug Blut". Dankbar seien sie für die Gastfreundschaft in Deutschland. Noch muss ein Dolmetscher übersetzen: "Deutsche, bewahrt euren Frieden." Auch zum Schluss starke Worte.

Es kann gehen. Das zeigt das Projekt: Oper weit weg von einer elitären Kunstform. Kultur als Sprache um sich kennenzulernen. Als gemeinsames und verbindendes Erlebnis.