Stolz auf die Stelen, wie hier in Frommern am Schiefersee, und die neue Internetseite sind diese Mitglieder des Arbeitskreises "Wüste": von links Brigitte von Kellenbach, Michael Walther, Günther Ernst, Immo Opfermann, Hans Schimpf-Reinhardt, Helmut Stotz und Hans Kratt. Foto: Hertle Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Arbeitskreis "Wüste" hat Internetseite freigeschaltet / Schlaglicht auf Nazi-Brutalität

Der Aufarbeitung und Erforschung eines dunklen Kapitels der Zeitgeschichte widmet sich der Arbeitskreis "Wüste", der jetzt seinen Internet-Auftritt freigeschaltet hat.

Balingen. "Wüste" steht für ein Unternehmen der Nazis zur Gewinnung von Treibstoff aus Ölschiefer, bei dem von 1944 bis zum Kriegsende 1945 Tausende von KZ-Häftlingen am Fuß der Schwäbischen Alb ausgebeutet wurden.

Zwischen Dußlingen, Nehren und Zepfenhan entstanden zehn Werke. In sieben KZ-Außenlagern waren mehr als 12 500 Gefangene untergebracht. Auf dem Gebiet der Stadt Balingen, in Engstlatt, Erzingen und Frommern, standen Ölschieferwerke und Lager. Zentrale Einrichtungen waren in Balingen etwa in Schulgebäuden oder im heutigen Amtsgericht untergebracht. Stätten der Erinnerung an Zwangsarbeit und Ausbeutung sind beispielsweise die KZ-Friedhöfe in Bisingen, Schömberg und Schörzingen, ein Museum, die Gedenkstätte Eckerwald und ein Erinnerungspfad mit Ausstellung bei Dormettingen.

2007 hatte sich die gebürtige Engstlatterin Ute Jetter an die Ortschaftsverwaltung gewandt mit der Frage, warum es in ihrem Heimatort keine Erinnerung an das Unternehmen "Wüste" gebe. 2009 stellte der Balinger Martin Sommerer eine ähnliche Anfrage an Oberbürgermeister Helmut Reitemann.

In Balingen wurden laut Michael Walther ab dem Ende der 1980er-Jahre die Geschehnisse 1944 bis 1945 aufgearbeitet. 1988 begann das Stadtarchiv ein Forschungsprojekt "Balingen 1918 – 1948". Die Historikerin Margarete Steinhart verfasste das gleichnamige Buch. In einem Kapitel wurde auf das Unternehmen "Wüste" eingegangen.

Immo Opfermann schrieb 1993 einen umfangreichen Artikel zum Thema, und es gab Begegnungen mit ehemaligen KZ-Häftlingen in Erzingen und Frommern. 1997 präsentierte eine Arbeitsgruppe des Gymnasiums Balingen die Ausstellung "Das Unternehmen ›Wüste‹". 2002 drehte ein Student der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd einen Film über die Frommerner Ölschieferforschungsgesellschaft.

Ab 2009 befassten sich der Balinger Stadtarchivar Hans Schimpf-Reinhardt und Bürger mit der örtlichen Geschichte des Unternehmens "Wüste". Es beteiligten sich die Zeitzeugen Günther Ernst aus Erzingen, Hans Kratt aus Dürrwangen und Helmut Stotz aus Engstlatt. Mit von der Partie waren Immo Opfermann aus Schömberg sowie die Balinger Brigitte von Kellenbach, Martin Sommerer und Michael Walther. Eine wichtige Rolle spielte auch der 2011 gestorbene Bahnhofsvorsteher Guido Motika. Der Arbeitskreis traf sich erstmals am 8. Dezember 2009.

Zeichen der Erinnerung sind die 2012 aufgestellten Stelenpaare aus Beton an vier Standorten von ehemaligen Lagern und Ölschieferwerken. Jeweils eine Stele symbolisiert einen KZ-Häftling in gestreifter Kleidung, die zweite ist mit Aluminiumtafeln mit Texten und Bildern versehen.

Orte des Gedenkens sind Frommern, wo es ein Werk und ein Außenlager gab, Erzingen, auf dem Geischberg, wo sich ein Schiefermeiler befand, auf dem Hungerberg und in Engstlatt. Die Stadt Balingen unterstützt die Tätigkeit des Arbeitskreises. Finanzielle Hilfe kommt auch von den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken, der Stiftung Kunst, Bildung und Kultur der Sparkasse Zollernalb und der Heimatkundlichen Vereinigung. Mitglieder des Arbeitskreises sind auch im Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb engagiert. Die Grafikdesignerin Petra Penz hat die Internetseite gestaltet.

Weitere Informationen: www.akwueste.de