Zahlreiche Flüchtlinge besuchen Balinger Sichelschule / Integration stellt Lehrer und Schüler vor Herausforderung

Von Fabian Wagener

Balingen. Täglicher Sprachunterricht und ein ausgeklügeltes Patensystem: Die Sichelschule tut viel, um Flüchtlinge zu integrieren. Doch man stößt auch an Grenzen.

Buschra und Abdullah sitzen in einem bunt geschmückten Klassenzimmer in der Sichelschule in Balingen. An den Wänden hängen Zeichnungen von Tieren und Himmelskörpern, daneben die Anfangsbuchstaben in Blockschrift: "A" für Ameise, "M" für Mond und "S" für Sonne.

Die neunjährige Buschra und ihr fünfjähriger Bruder stammen aus Homs, jener ehemaligen Rebellenhochburg im Westen Syriens, in der heute ausgebrannte Häuser wie Skelette in den Himmel ragen und sonst fast nichts mehr existiert. Noch sprechen die Geschwister kaum ein Wort deutsch, mühsam suchen sie nach Worten, ab und an blicken sie hilfesuchend zu ihrer Lehrerin. Sibylle Treß aber verbreitet Optimismus: "Kinder lernen schnell", sagt sie.

"Manche haben geweint, andere waren aggressiv"

Treß unterrichtet Buschra und Abdullah seit deren Ankunft in Balingen Ende September. Man könnte Treß als Lehrerin für besondere Anlässe bezeichnen, denn Buschra und Abdullah sind nicht die einzigen Flüchtlinge in ihrer "Vorbereitungsklasse Sprachförderung". Von ihren 17 Schülern im Alter von sechs bis zehn Jahren sind 15 Flüchtlinge. Sie kommen aus allen Ecken der Welt, aus Sri Lanka, aus Serbien, die meisten jedoch flüchteten vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland.

Die unterschiedliche Herkunft und die verschiedenen Erfahrungen der Kinder stellen die Lehrerin vor besondere Herausforderungen. "Das Niveau der Kinder ist natürlich unterschiedlich", sagt Treß. Ganz wichtig sei es, eine enge Beziehung zu den Kindern aufzubauen. "Die Kinder brauchen Rituale und Regeln, vor allem aber Zuneigung."

Ganz ähnlich sieht es Edith Liebhäuser, die Leiterin der Sichelschule. Besonders die syrischen Kinder benötigten Halt und einen festen Rhythmus. "Sie verstehen nichts und haben keine Heimat mehr. Möglicherweise haben sie sogar Angehörige verloren", sagt Liebhäuser. Bei der Ankunft in der Schule vor wenigen Wochen hätten die Kinder sehr unterschiedlich reagiert. "Manche haben geweint, andere waren aggressiv."

Damals sei es auch zu einigen Scharmützeln zwischen den Flüchtlingen und anderen Schülern gekommen. So hätten die syrischen Kinder die einzige Schaukel auf dem Schulhof besetzt und niemand anderen mehr raufgelassen. Um derlei Streitigkeiten zu verhindern und die Integration der Flüchtlinge zu fördern, hat die Schule ein sogenanntes Patensystem eingeführt. Jeder Flüchtling hat einen anderen Schüler als festen Ansprechpartner.

Andelina Kalludra und Suvetha Vasanthakumar sind solche Paten. Sie betreuen die Kinder in den Pausen und helfen ihnen manchmal sogar im Unterricht. "Wenn die Kinder etwas nicht verstehen, können sie uns fragen", sagt Andelina. "Und zu Weihnachten wollen wir gemeinsam Plätzchen backen und eine kleine Feier veranstalten."

Das Patensystem sei ein voller Erfolg, berichten Schulleiterin Liebhäuser und Lehrerin Treß übereinstimmend. Auf Seiten der Schülerschaft war die Resonanz riesig. "Ich konnte mich kaum retten vor Schülern, die Paten werden wollten", berichtet Treß.

Schulleiterin: "Sehen Flüchtlinge nicht als Belastung"

Gleichwohl könne mit den freiwilligen Helfern nicht alles aufgefangen werden, sagt Rektorin Liebhäuser. Bislang habe die Schule nur eine Sozialarbeiterin mit einer 75-Prozentstelle. Man bräuchte jedoch eine zusätzliche Kraft, nicht zuletzt, weil man seit September eine zweite Förderklasse mit Flüchtlingen im Alter von 10 bis 16 Jahren habe. Die Schule hat bereits bei der Stadtverwaltung Verstärkung für die Sozialarbeit beantragt. Mit Aussicht auf Erfolg? "Ich bin immer optimistisch", sagt Liebhäuser.

Lamentieren ist ohnehin nichts für die resolute Schulleiterin. Man sei es an der Sichelschule gewöhnt, mit Schülern aus verschiedenen Kulturen zu arbeiten. Vier von fünf Schüler der Grundschule sind laut Schulbericht Ausländer oder Migranten. Trotz aller Schwierigkeiten stellt sie klar: "Wir sehen die Flüchtlinge hier bei uns nicht als Belastung." Und schon jetzt sehe man die Erfolge der Arbeit, denn einige Flüchtlinge würden bereits am Unterricht der Regelklassen teilnehmen können.

Bei Buschra und Abdullah, den Geschwistern aus Homs, dürfte es noch etwas dauern, bis ihre Sprachkenntnisse für die Regelklasse reichen. Doch mindestens eine Sache haben sie manch einem deutschen Schüler schon voraus: "Wir lieben die Schule", sagt Buschra und lacht.