Hier steht gerade alles still: Nach Probebohrungen, bei denen man auf historische Überreste gestoßen ist, hat die Denkmalbehörde den geplanten Neubau am Mühltorplatz im Baliunger Klein-Venedig-Viertel erst einmal gestoppt. Foto: Maier

Gerberviertel bremst Wohnbau aus. Archäologische Untersuchung muss erst abgeschlossen werden.

Balingen - Die Arbeiten am Mühltorplatz stocken, und dem Bauherren, der Balinger Wohnbau, sind die Hände gebunden. Denn bei Sondierungsgrabungen wurden Überreste des früheren Gerberviertels entdeckt. Das könnte für die Wohnbaugenossenschaft teuer werden.

Nach Angaben von Wohnbau-Vorstandsmitglied Karl-Heinz Welte steht noch nicht fest, welche Kosten auf die Genossenschaft zukommen – und, wenn das so ist, ob das Bauvorhaben dann überhaupt noch gestemmt werden kann.

Wie berichtet, will die Wohnbau am Mühltorplatz eine größere Wohnbebauung quasi als Lückenschluss für das Quartier Klein-Venedig an der Eyach erstellen. Die Pläne dafür – samt Anlegung eines neuen Platzes durch die Stadt Balingen – sind soweit durch. In diesem Sommer sollten die Bauarbeiten beginnen. Doch daraus wird nach Probebohrungen, bei denen Überreste der historischen Stadtmauer sowie des Gerberviertels zutage kamen, nun erst einmal nichts.

Könnte also das ganze Bauprojekt kippen? Eher nicht, heißt es von Seiten des Denkmalamts: "Wir sind im Kontakt mit der Stadt und bemüht, dass wir die historischen Zeugnisse für die Wissenschaft und Forschung fachgerecht dokumentieren können, und dann soll selbstverständlich der Investor bauen können", sagt Nadine Hilber, Sprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart. Bei den Sondierungsgrabungen sei, so Hilber, die bereits vermutete Relevanz der archäologischen Befunde bestätigt worden. Zunächst seien die im Boden liegenden, aber dort noch in beträchtlicher Höhe erhaltenen Reste der Zwingermauer zu nennen, die Bestandteil des Kulturdenkmals Stadtbefestigung sind.

Dort verborgen seien aber auch Zeugnisse des mittelalterlichen bis neuzeitlichen Mühlen- und Gerberviertels, etwa Gebäudereste, der Mühlkanal, Einrichtungen der Infrastruktur wie Straßenpflaster, Gerbergruben, wahrscheinlich auch Brunnen, Latrinen und Ähnliches sowie verlorene und weggeworfene Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs wie Geschirrkeramik, Glasgefäße, Metallgegenstände, Ofenkacheln und Produktionsabfälle.

Besiedlungsgeschichte könnte detailliert untersucht werden

Daran lasse sich die Besiedlungsgeschichte dieses Areals rekonstruieren und es könnten Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Bewohner, lokale Besonderheiten und überregionale Beziehungen gezogen werden. Das sei in diesem Fall besonders spannend, weil Müller und Gerber im Mittelalter zur wohlhabenden Bevölkerung zählten, ihre Gewerbe aber zum Teil auch als unehrlich galten. Dabei handle es sich also um Kulturdenkmale, deren Zerstörung ohne vorherige fachgerechte Dokumentation nach dem Denkmalschutzgesetz unzulässig sei.

Beim Mühltor bestehe tatsächlich erstmals in Balingen die Chance auf eine fachgerechte flächige archäologische Untersuchung. Anschließend könne der Investor selbstverständlich bauen. "Es wäre unseres Wissens das erste Mal, dass durch die Notwendigkeit einer vorherigen archäologischen Untersuchung ein solches Bauprojekt aufgegeben würde", erklärt Hilber.

Wegen des weiteren Vorgehens sei das Landesdenkmalamt nun im Austausch mit der Stadt. Grundsätzlich gelte: Eigentümer und Besitzer von Kulturdenkmalen seien nach dem Denkmalschutzgesetz zu deren Erhaltung und Pflege verpflichtet. Diese Pflicht umfasse bei archäologischen Denkmalen in erster Linie die Erhaltung der Denkmalsubstanz und ihres Befundzusammenhangs an Ort und Stelle. Kommt es durch ein Bauvorhaben zur Zerstörung des Bodendenkmals, müsse eine Rettungsgrabung zur Bergung und Dokumentation der Funde erfolgen.

"Bezüglich der hierdurch entstehenden Kosten gilt das sogenannte Veranlasserprinzip", erklärt Nadine Hilber. Wer wirtschaftlich aus einer Baugenehmigung Nutzen ziehen wolle, müsse die Kosten zur Rettung dessen übernehmen, was durch seine Tätigkeit in Mitleidenschaft gezogen wird. "Die baden-württembergische Praxis beinhaltet jedoch im Rahmen des Möglichen eine durchaus eigentümerfreundliche Umsetzung dieses Veranlasserprinzips", so Hilber.

Bedeutet konkret: Die Höhe der Kostenbeteiligung werde zugunsten der Denkmaleigentümer in der Regel auf fünf bis sieben Prozent der Investitionskosten beschränkt – deutlich weniger als der Wert von fünfzehn Prozent, der in Deutschland in der Rechtsprechung für "zumutbar" erachtet worden sei.