Bunte Umschläge, lebendiger Inhalt: Exemplare des "Eckenbrüller" sind wieder aufgetaucht. Fotos: Thiercy Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Marcus Köhler hat einen Stapel der Schülerzeitung "Der Eckenbrüller" wiederentdeckt

Wer gruschtelt, der findet, und zwar alte Schülerzeitungen, die mehr als 30 Jahre auf dem Buckel haben. Marcus Köhler hat in seinem Elternhaus einen Stapel "Eckenbrüller" entdeckt, das Sprachrohr einer ganzen Schülergeneration am Balinger Gymnasium.

Balingen. Die Mädchen sollen zum Rauchen statt in die Toiletten auf den Hof gehen, ruft ein Artikel auf. Wie man mit Weingeist und weiteren Zutaten Liköre mischt, steht auch im Blatt. Die jungen Redakteure haben Angst vor Pershingraketen und rufen zum Umweltschutz auf.

Die erste Ausgabe des "Eckenbrüller" im DIN-A-5-Format kostete 50 Pfennige, hatte eine Auflage von 400 Stück und erschien im Dezember 1983. Die meisten Artikel schrieben die Journalisten von Hand, die Illustrationen malten sie selbst.

1983 durfte eine Lehrerin, die in einer Stilblüte zitiert wird, noch mit folgenden Worten unterrichten: "Ich nehm jetzt die Schnur und häng mich auf. Ich hänge da mit 780 Newton. Wie groß ist die Kraft in meinem Hals?"

"Bombenstimmung in Balingen – D’Terrorischde kommed" beschäftigte die Redaktion 1989. Damals war an verschiedenen Schulen eine Bombendrohung eingegangen. Ein Direktor bat daraufhin per Durchsage alle Schüler, zunächst in den Taschen und Ranzen nachzusehen, ob sie etwas Verdächtiges finden. Erst dann wurde das Gebäude evakuiert.

Vorgestellt wurde in einer großen Reportage das Jugendhaus Insel mit dem damals ganz neuen Café Perpedo, wo es einen Billiardtisch und einen Fernseher gab, auf dem Videofilme gezeigt wurden. Außerdem wurde Werbung für den Arbeitskreis Tipp-Kick gemacht. Die damaligen Spieler sind zum Teil bis heute aktiv und spielen in der Bundesliga ganz oben mit.

Der damalige Chefredakteur Holger Preuß berichtete handschriftlich von einer "gerammelt vollen Stadthalle mit schönen Leuten", die zur Vernissage der großen Chagall- und Picassoausstellung gekommen waren. Sein Fazit: "Mich hat der ganze Trubel drum herum nicht gerade vom Hocker gerissen."

Es gibt Hobbytipps für Batikfans, welche dank der Industrie zuhauf farbige Flüsse und Seen finden. Für einen Malwettbewerb zum Thema Australien wurden 1984 als erster Preis zwei Kinokarten im Wert von acht D-Mark ausgelobt. In einem anderen Gewinnspiel ergatterte Jochen Bitzer aus der Unterstufe eine Packung Negerküsse.

Der damalige Rektor Werner Jessen zierte als karikierter Schupo das Titelblatt der Ausgabe Nr. 7/85, in der der Dritte-Welt-Laden vorgestellt und ein "Balingen auf dem Weg zur Weltstadt" prophezeit wird – vierspuriger B 27 und Chagall-Ausstellung wegen. Immer wieder stehen Bands im Fokus, deren Hits inzwischen in Oldies sind. Marillion zum Beispiel, BAP, Pink Floyd oder Ozzy Osbourne.

Die Redaktion veröffentlichte Recherchen über Sekten, zeichnete die berühmten Ottifanten nach und nahm herzschmerzvolle Gedichte der Leser mit ins Blatt. Und immer wieder Stilblüten der Lehrer: "Was bassierd, wenn i mit der Schdahlwolle in des Chlor fall… äh… fahr?" oder "Du sollsch Dreisadz rechna ond id a deine Finger schlotza!" Buchbesprechungen, Filmtipps, alles über Cola und natürlich eine ganzseitige Ankündigung für Samstag, 22. November 1986: "Parmesan", die Balinger Band, spielte im Jugendhaus. Ticketpreis: fünf Mark.

Zum Thema wurde die Kriegsdienstverweigerung, und es gab Einblicke in das Leben Behinderter sowie Interviews mit Lehrern. Ute Hirthe zum Beispiel stand dem Team 1987 Rede und Antwort. Sie erzählte, wie sie in Südafrika wegen eines Hot Dogs von einem Affen verfolgt wurde, dass sie Fechten und Handarbeit mag und dass ihr in Frankreich ihr Auto (VW Golf GTI 16V) gestohlen worden war. Schlusssatz des Redakteurs Boris A.: "Sonst ist das Leben Utes nicht übermäßig aufregend, es kann auch nicht durch klingelnde Telefone aufregender gemacht werden, denn Hirthes besitzen keines."

Um die Druckkosten zu finanzieren, hatte die Redaktion eine eigene Werbeabteilung. Schüler klapperten die Geschäfte in der Balinger Friedrichstraße ab. Wenn es keine Vorlage gab, malten sie die Anzeigen selbst. Und mussten sich manches Mal – auch das wurde zum Artikel – von unzufriedenen Werbekunden anpampen lassen. Die Schüler nahmen kein Blatt vor den Mund. Machten ihrem Unmut über Lehrer oder ihre Gedanken zur Wiedervereinigung Luft. Die Rechtschreibreform war Thema.

Die Auflage wurde auf 500 Stück gesteigert, der Umschlag wurde farbig. Und sie bekamen für ihre Arbeit 1984 ein Lob vom damaligen Staatssekretär Theo Balle in Form einer Urkunde.

Was aus den Redakteuren von vor 30 Jahren geworden ist? Manch einer, wie der Finder Marcus Köhler oder Björn Preuß, wechselten die Seite und wurden selbst Lehrer. Andere blieben dem Metier treu und wurden tatsächlich Journalisten. Manche davon schreiben sogar noch in Balingen.