Blick in eine frühere Latrine: Andreas Willmy und Dorothee Ade haben darin sowie bei Grabungen drumherum auf dem Gelände an der Wilhelmstraße zahlreiche für die Balinger Stadtgeschichte bedeutende Exponate gefunden. Foto: Maier

Grabung fördert für Stadtgeschichte herausragende Funde zutage. Kochtöpfe, Kacheln und Latrine.

Balingen - "Schauen sie her", sagt Andreas Willmy und greift in einen Eimer, "das ist ein Topfdeckel". Ein kleines Teil, Erde haftet daran. Was für den Laien schwer erkennbar ist, versetzt den Archäologen Willmy fast schon in Verzückung. Auf einem Tisch stehen weitere, deutlich besser erhaltene und fein herausgeputzte Exponate: Fast vollständig erhaltene Kochtöpfe, geschätzt etwa 600 Jahre alt, dazu Kacheln, auf denen ein Hirsch samt herausgestreckter Zunge und ein Engel zu sehen und die teilweise mit gotischen Elementen verziert sind. Die Kacheln stammen aus der Zeit um 1500, die Farbe ist noch erhalten. Sie müssen, so schmuckvoll, wie sie sind, einst an einem prächtigen Ofen angebracht gewesen sein. Dorothee Ade vom Büro Archäo/IKU spricht beim Blick auf die Funde auf dem Grundstück an der Kreuzung Frosch-/Wilhelmstraße von einem "Glücksfall".

Die Denkmalschützer waren zuletzt sehr oft in Balingen am Werk – dies deshalb, weil in der Innenstadt und damit auf historisch grundsätzlich interessantem Gelände zahlreiche Neubauten entstehen. Unter dem AOK-Parkplatz, wo ein Gesundheitszentrum entsteht, entdeckten sie Keramik aus dem 4. oder 5. Jahrhundert nach Christus sowie Spuren einer frühmittelalterlichen Siedlung, möglicherweise die Keimzelle des heutigen Balingen – und nebenbei ein Grab aus der späten Jungstein- oder der Bronzezeit (etwa 3500 bis 2000 vor Christus, "ältester Balinger"). Auf dem Mühltorgelände, wo die Wohnbau Wohnungen baut, fanden sie Überreste der Stadt- und der Zwingermauer sowie das Fundament eines Turms und dazu zahlreiche Spuren der früher dort tätigen Gerber.

Auf dem rund 500 Quadratmeter großen Areal an der Wilhelmstraße waren die Archäologen nach einer ersten Sondage im Sommer 2016 in den vergangenen vier Wochen stark zugange. Seit Donnerstag dieser Woche ist die Grabung beendet, nun kann die KBF den dort geplanten Neubau angehen. Im Lauf der Buddelei kam, wie die Archäologen bei einem Vorort-Termin berichten, beinahe täglich immer mehr ans Tageslicht. "Wir haben kein Gold gefunden", sagt Dorothee Ade, "aber für die Balinger Stadtgeschichte herausragende Exponate". Die Grabung habe sich definitiv gelohnt, sagt Beate Schmidt, Referentin im Landesamt für Denkmalpflege, unter dessen Fachaufsicht die Grabung ausgeführt wurde.

Die bedeutendsten Funde entdeckten die Archäologen in einem der vier Brunnen, die einst auf dem Gelände bestanden und die auch als Latrinen genutzt worden waren. Neben Kacheln und Kochtöpfen fanden sie in einem davon auch einen halben Saukopf – deutliches Zeichen dafür, dass der Brunnen, wohl um das Jahr 1400, als Wasserentnahmestelle aufgegeben worden war. Zudem entdeckten die Graber einen gut erhaltenen Lederschuh sowie einen Flechtkorb; beides wurde, in Frischhaltefolie verpackt, den Spezialisten des Landesdenkmalamts zur Präparierung übergeben. Ebenso legten sie Teile der Stadtmauer frei, die quer über das Gelände verlief, sowie drei Kanäle – und die Überreste der Keller der früheren Bebauung. Vier Gebäude habe es dort vor dem Stadtbrand von 1809 gegeben, sagt Andreas Willmy; zum Teil an die Stadtmauer angelehnt, zum Teil drübergebaut. Am letzten Tag der Grabung wurden die Bodendielen eines der vielen dort früher bestehenden Kellers gesichert.

Die Funde werden nun detailliert erfasst und fürs Archiv aufbereitet. Möglicherweise lassen sich daraus dereinst wichtige Rückschlüsse auf die Balinger Siedlungsgeschichte sowie den – aufgrund der Ofenkacheln mutmaßlich hohen – sozialen Status der früheren Bewohner ziehen. Ebenfalls ausgewertet werden soll auch der Inhalt der Latrinen; die Archäologen hoffen, darin Spuren von Lebensmitteln und damit Hinweise darauf zu finden, was zu früheren Zeiten verspeist wurde. Bei der Untersuchung von Latrineninhalt aus einer Grabung in Rottweil etwa wurde einst ein Reiskorn gefunden, das wohl im 16. Jahrhundert gegessen worden war. Lecker.