Verbraucherminister Alexander Bonde (Grüne, Mitte) plaudert beim Genussgipfel mit Sternekoch Jörg Sackmann aus Baiersbronn. Foto: Eberhardt

Veranstaltung in Baiersbronn geht Kulinarischem auf den Grund. Minister Bonde prämiert traditionelle Gerichte.

Baiersbronn - Der Speisezettel als Artikulationsform der Weltanschauung? Ernährungsgewohnheiten als religiöse Ersatzhandlungen? Beim zweiten baden-württembergischen Genussgipfel zeigte sich: Karotten und Co. sind längst keine simplen Nahrungsmittel mehr.

In Baden-Württemberg, und vor allem im mit Sternköchen gespickten Baiersbronn (Kreis Freudenstadt), wo der zweite baden-württembergische Genussgipfel stattfand, sind Essen und Trinken elementarer Wirtschaftszweig. Dort gibt es das "magische Dreieck aus Landwirtschaft, Naturschutz und Tourismus", in welches Verbraucherminister Alexander Bonde (Grüne) in seiner Rede Lebensmittelproduzenten wie Verbraucher stellte.

Geschmack wird zum Anker in Überflussgesellschaft

Den Titel der Veranstaltung, "Alte Sorten für neue Zeiten – Genuss und Verantwortung", nahmen Aussteller und Gastgeber ernst, die die Besucher mit Infoständen sowie Saft und Cidre von heimischen Streuobstwiesen empfingen. Doch schon bei der ersten Referentin zeigte sich: Es sollte um mehr gehen.

Essen spiegelt Werte wider, postulierte die österreichische Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler von "futurefoodstudio" in Wien. Sie referierte vor den rund 200 Gästen über "die neue Lust am Geschmack und welche Rolle er für unsere Zukunft spielt". Geschmack wird demnach zur Suche nach Erfüllung, zum orientierungsstiftenden Anker in einer hoch individualisierten Überflussgesellschaft, im Extremfall zur quasireligiösen Erfahrung. Wo man da als simpler Konsument und Hobbyfeinschmecker bleibt, war für manchen Zuschauer fraglich.

Diese Brücke schlugen die "Genussbotschafter Baden-Württemberg 2014", die von Verbraucherminister Bonde beim Genussgipfel prämiert wurden. Die Titel gingen an die Gastronomen-Familie Tress, die in Hayingen (Kreis Reutlingen) das erste Biohotel Baden-Württembergs betreibt, sowie an die Winzerei Weber aus Ettenheim (Ortenaukreis) für eine neue moderne Interpretation regionaler Weinkultur. Beide Preisträger wissen ihre Produktion erfolgreich mit touristischen Angeboten zu verbinden, lobte Bonde. Gut essen und trinken, das hatte der Minister zuvor schon betont, ist eine "wichtige touristische Botschaft" im Wettbewerb um Besucher und Gäste.

In dem Zusammenhang ebenfalls ausgezeichnet wurden zwölf Gewinner der "kulinarischen Spurensuche". Unter diesem Motto waren Bürger eingeladen worden, alte Rezepte, Produkte und Zubereitungsformen aufzustöbern. Vom Haslacher Holderkuchen über "Omas Hägemark" bis zum Schwäbischen Wurstknöpfle reichte die Palette der prämierten Beiträge.

Den kulinarischen Hauptteil bestritten die Sterneköche Harald Wohlfahrt (Traube Tonbach), Claus-Peter Lumpp (Hotel Bareiss) und Jörg Sackmann (Hotel Sackmann). Sie hatten für die Gäste drei Gerichte vorbereitet, deren Kernzutaten erst einmal einer Erläuterung bedurften. Die Urkarotte etwa, die von Harald Wohlfahrt in Szene gesetzt wurde. Oder das Einkorn – das vermutlich älteste Getreide, wie Claus-Peter Lumpp erklärte. Oder der Emmer-Reis, ein geschliffenes Weizengetreide, dem Jörg Sackmann unter anderem Risotto-Tauglichkeit attestierte.

Im Gespräch mit Moderator Markus Brock charakterisierten die drei alte regionale Lebensmittel mit bodenständiger Expertise. Es seien Speisen, die in entsprechenden Händen zugegebenermaßen für manchen Glücksmoment sorgen können. "Man versucht, den wahren Geschmack zu finden", erklärte Claus-Peter Lumpp, während Sackmann einen Bewusstseinswandel spürte: "Nachhaltigkeit ist wieder gefragt."
Diskussion sorgt für Applaus, ist aber nicht immer heiter

In welchem Spannungsfeld Lebensmittelproduzent und -konsument stehen, zeigte eine Podiumsdiskussion zum Thema "Genuss und Verantwortung". Juliane Vees, Präsidentin des Landfrauenverbands, Sternekoch Harald Wohlfahrt, Markus Keller als Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung in Gießen, Anthropologe Gunther Hirschfelder sowie Jürgen Mäder, Geschäftsführer der Fleisch-Sparte bei Edeka Südwest, debattierten über Entwicklungen und Szenarien, die vom Publikum mit häufig mit Heiterkeit und Applaus quittiert wurden, aber mitnichten immer lustig waren. Wohlfahrt suchte die Antwort auf das Komplizierte im Bodennahen: "Genuss liegt nicht in der Menge." Die Menschen bräuchten wieder ein Gespür dafür, wie viel sie essen müssen, um sich gut zu fühlen.

Von den vielen Arten des Genusses konnten sich die Besucher abschließend selbst überzeugen – es ging um Delikatessen wie heimische Spirituosen bis hin zu Alblinsen.