Auf und davon: Bundesligist Darmstadt 98 (links) erwischte gegen den Kehler FV auf dem Klosterreichenbacher Sportgelände einen Sahnetag. Foto: Fritsch

Fußball: "Lilien"gewinnen Testspiel in Klosterreichenbach mit 10:0. Trainer Dirk Schuster möchte wiederkommen. Mit Kommentar.

Die Lilien ballern sich für die Bundesliga warm: Beim Testspiel zum Abschluss seines Trainingslagers auf dem Schliffkopf besiegte der SV Darmstadt 98 den Kehler FV standesgemäß mit 10:0 – und gewann in seiner Sommerresidenz weiter an Sympathie.

Von den Ladehemmungen, die der Bundesliga-Aufsteiger noch vier Tage zuvor beim mageren 1:0-Testspiel-Sieg gegen die TSG Balingen hatte, war in Klosterreichenbach nichts mehr zu spüren: Vor 650 Zuschauern ließ der SV Darmstadt 98 dem Oberligisten von der französischen Grenze nicht den Hauch einer Chance und brannte ein 10:0-Feuerwerk ab. Bereits zur Halbzeit führten die Lilien nach den Treffern von Aytac Sulu (8.), Dominik Stroh-Engel (8./21.) und Konstantin Rausch (15.) mit 4:0. Sechs weitere Tore von Michael Stegmayer (59./Foulelfmeter), Marco Sailer (61./73./90.), Adrian Winter (71.) und Yannick Stark (90.) machten aus diesem komfortablen Pausen-Vorsprung den erwarteten zweistelligen Sieg.

"Die Jungs sollen sich voll auspowern und die Zuschauer mit einem guten Gefühl nach Hause gehen lassen", forderte Lilien-Coach Dirk Schuster vor dem Spiel. Das gelang seiner Mannschaft mit Bravour. Mit dem Kehler FV, gegen den die 98er bereits vor einem Jahr im Rahmen ihres Schliffkopf-Trainingslagers testeten, traf sie allerdings auch auf einen Gegner, der ihr das Leben nicht sonderlich schwer machte. Dass der Oberligist nicht einmal mit richtigen Trikots anreiste, sondern in Trainingsshirts ohne Rückennummer spielte, spiegelte das nur allzu gut wieder – und sorgte bei manch einem Zuschauer für große Verwunderung. Deutlich zu merken war ebenso, dass der Kehler FV am Vormittag noch eine Trainingseinheit einschob.

"Das Ergebnis ist zwar nicht ganz so wichtig, aber wir haben ganz klar unsere Grenzen aufgezeigt bekommen", sagte der Kehler Trainer Helmut Kröll nach dem Spiel und lobte: "Ich bin froh, dass Darmstadt das Spiel ernst genommen hat. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr wieder gegen sie spielen dürfen."

Freilich: Nicht nur der Kehler FV, sondern auch der neue Bundesligist ging nach anstrengenden Tagen mit schweren Beinen in die Begegnung – noch dazu bei rekordverdächtiger Hitze. Entsprechend fiel direkt nach dem Abpfiff die Analyse von Dirk Schuster aus, der während des Trainingslagers seinem Ruf als sympathischer Schleifer wieder alle Ehre machte: "Das war genau das Richtige nach einer harten Trainingswoche. Wir wollten uns viele Chancen erarbeiten und ein sauberes Passspiel hinlegen. Das hat geklappt. Heute Abend dürfen meine Spieler auch mal ein Bier trinken."

Profitiert haben die Lilien bei diesem standesgemäßen 10:0-Sieg offenkundig auch von ihrem – nach dem Darmstädter Stadion am Böllenfalltor – zweiten Heimvorteil. Schon als Trainer der Stuttgarter Kickers zog es Dirk Schuster in der Sommerpause in das Baiersbronner Hotel Schliffkopf, das damals Werbepartner der Kickers war. Seit drei Jahren in Folge macht er hier nun auch mit dem SV Darmstadt 98 Station, der beim ersten Besuch noch ein Drittligist war. Der Klosterreichenbacher Sportplatz dient dabei stets als Trainingsplatz.

Dass die Lilien in und um Klosterreichenbach in den vergangenen drei Jahren viel an Sympathie gewonnen haben, war beim Testspiel gegen den Kehler FV an jeder Ecke ihrer Sommerresidenz zu spüren. Einige Zuschauer sangen sogar den Refrain des Lilien-Songs mit, der nach jedem der zehn Treffer über die Lautsprecher eingespielt wurde. Und der Bundesliga-Aufsteiger scheint im Nordschwarzwald weiter an Sympathie zu gewinnen: Die Autogramme der Darmstädter Spieler standen höher denn je im Kurs, ein paar einheimische Kids trugen sogar ein Lilien-Trikot.

"Die Bedingungen sind für uns hier ideal. Das passt alles zusammen – von der Freundlichkeit der Menschen her, vom Sportplatz in Klosterreichenbach, vom Hotel und seinem Personal", sagte Dirk Schuster nach dem Spiel im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten und betonte, dass im fulminanten Durchmarsch bis in die Bundesliga auch ein ganzes Stück Baiersbronn und Klosterreichenbach stecke: "Ein Mosaikstein unseres Erfolgs." Ein erneutes Trainingslager in Baiersbronn in der kommenden Sommerpause gelte quasi als sicher.

Im Halbzeit-Interview mit dem Baiersbronner Sportmoderator und Manager Jens Zimmermann gewährte 98-Präsident Rüdiger Fritsch zudem Einblicke in die Euphorie-Welle, die seit dem Bundesliga-Aufstieg über dem SV Darmstadt 98 schwappt und die er mit lediglich 16 hauptamtlichen Mitarbeitern bewältigt. Zum Vergleich: Der VfB Stuttgart hat rund 180 hauptamtliche Mitarbeiter. Fritsch: "Es ist gigantisch, was da gerade passiert. Die Leute sind sehr, sehr stolz und haben ihre Fußball-Identität wiederentdeckt." Binnen kürzester Zeit waren sämtliche Tickets für die Heimspiele am Böllenfalltor vergriffen und das ausschließlich durch den Dauerkarten-Verkauf. Der 98-Präsident verriet jedoch: Ein kleines Restkontingent von etwa 2500 Tickets habe man zurückbehalten, das vor jedem Heimspiel in den freien Verkauf gelangt – zum Beispiel für die neugewonnenen Fans im Nordschwarzwald.

Kommentar: Bundesligareif

Von Tim Geideck

In Klosterreichenbach hat man die rasante Entwicklung des SV Darmstadt 98 bei dessen Trainingslagern hautnah miterlebt: Vor zwei Jahren waren die Gäste noch Drittligist, heute sind sie Erstligist. Auch der gastgebende VfR musste mit diesen Veränderungen Schritt halten. Plötzlich präsentiert sich auch ein ARD-Kamerateam auf dem Sportplatz. Auf einmal tummeln sich 650 Zuschauer auf dem Gelände – große Aufgabe für die ehrenamtliche und hart geforderte Truppe im Rücken des Kreisliga–A-Klubs. Der VfR Klosterreichenbach hat die Aufgabe wahrlich bundesligareif gemeistert. Es bilden sich keine langen Schlangen, die Getränke stehen immer kühl parat, Sportler und Medien werden hervorragend betreut. Fazit: Das war nicht nur beste Werbung für den engagierten Verein, sondern auch für den Sport- und Tourismusstandort Baiersbronn.

Seite 2: "Wir alle sind stolz, ganz klar"

Das Testspiel des SV Darmstadt 98 gegen den Kehler FV war für den VfR Klosterreichenbach eine Herkulesaufgabe: Den Ansturm von 650 Zuschauern bewältigen, Parkplätze organisieren, bei der Hitze immer genügend kühle Getränke vorrätig haben, quasi nebenbei noch einen Bundesligisten betreuen und und und. Sogar eine separate Pressetribüne wurde eingerichtet . Mittendrin im Trubel: VfR-Chef Oliver Schneider.

Ein Kamera-Team der ARD, der Kicker, die Darmstädter Presse, fast ein Dutzend Tageszeitungen – gab es hier oben schon einmal solch einen Medienrummel?

Nein. Wir hatten damals einen Rummel, als Schalke da war, aber der war bei weitem nicht so groß wie jetzt.

Was ist das für ein Gefühl für den VfR Klosterreichenbach?

Stolz, ganz klar. Vor allem, weil die Resonanz so hoch war. Volle Hütte, 650 Zuschauer sind wirklich klasse. Ich bin jetzt aber auch froh, dass es vorbei ist.

Weil es so ein Mordsaufwand war?

Dahinter steckte ein Haufen Arbeit, aber natürlich auch viel Erfahrung vom vergangenen Jahr, auch wenn die Resonanz da nicht so hoch war. Das hatte aber aus meiner Sicht andere Gründe: schlechtes Wetter, Abendspiel, gleichzeitig WM-Halbfinale. Wir machen das hier wie bei allen Veranstaltungen unseres Vereins: To-Do-Liste erstellen und danach eine Art Manöverkritik machen. Ich habe auch heute wieder mein Büchlein dabei gehabt, in dem alles niedergeschrieben wird, was nicht so gut geklappt hat.

...damit es beim nächsten Mal noch besser klappt, denn die Darmstädter werden ja wahrscheinlich wiederkommen.

Das hoffen wir. Die Türen und Tore stehen offen. Aber das gilt natürlich für jeden Bundesligisten.

Wie viel habt Ihr in den vergangenen Tagen vom SV Darmstadt 98 mitbekommen?

100 Prozent kriegen wir nicht mit. Wir wissen nicht, wie es auf den Zimmern zugeht. Aber wir sind locker bei 90 Prozent. Wir hatten Small Talk mit den Spielern, wir hatten längere Unterhaltungen mit Trainer Dirk Schuster, mit dem Management und mit Präsident Rüdiger Fritsch. Die sind alle ganz unkompliziert. Die Vizepräsidentin Anne Baumann hat mich sogar freudig in den Arm genommen und gesagt, dass wir uns ja noch vom vergangenen Jahr kennen. Coole Sache.

Gibt’s beim VfR Klosterreichenbach schon die ersten Darmstadt-Fans?

Es gibt Sympathisanten. Wenn, dann gibt es Fans bei den Kindern und Jugendlichen. Da werden sicherlich welche konvertieren. In meiner Altersklasse stehen eher die alten Bundesliga-Traditionsvereine im Kurs. Ich zum Beispiel bin HSV-Fan, andere sind Bayern- oder Gladbach-Fans. Uns rückt man davon nicht mehr so leicht ab.

Wenn man sich die jüngsten Erfolge so anschaut, dann tut dem SV Darmstadt 98 der Klosterreichenbacher Rasen offensichtlich richtig gut. Kann auch der VfR von diesem Effekt etwas mitnehmen?

Das hoffen wir, aber da gehört über die gesamte Saison gesehen auch Glück dazu. Wer aber ein bisschen abergläubisch ist, und dazu gehöre ja auch ich als ehemaliger Torhüter, der baut natürlich auf solchen Geschichten gerne auf. Leider können die Darmstädter jetzt nicht mehr aufsteigen.

Aber in den Europapokal einziehen.

Das wäre der Hammer.

Seite 3: "Eine wunderbare Gegend ist das"

Von Tim Geideck

Der SV Darmstadt 98 liebt Baiersbronn, Baiersbronn liebt den SV Darmstadt 98 – und so langsam finden auch die Lilien-Fans Gefallen am Nordschwarzwald. Hielt sich ihre Zahl im vergangenen Jahr bei den beiden Testspielen gegen den Kehler FV in Klosterreichenbach und gegen die TSG Balingen auf dem Sportgelände der SG Dettlingen/Bittelbronn noch in Grenzen, waren es dieses Mal rund 100 Darmstädter, die sich auf den knapp 200 Kilometer langen Weg von Hessen nach Klosterreichenbach gemacht haben.

Wolfgang, Eric und Horst sind drei von ihnen. Gut gelaunt stehen sie auf dem Hügel des Klosterreichenbacher Sportplatzes, lassen den Blick schweifen und genießen das herrliche Schwarzwald-Panorama. "Super-toll. Eine wunderbare Gegend ist das hier", sagt Lilien-Fan Horst. Das Trio ist zum ersten Mal im Trainingslager dabei und war ganz überrascht von der Größe der Gemeinde Baiersbronn, die schließlich mit knapp 200 Quadratkilometern die nach Stuttgart flächenmäßig zweitgrößte Kommune Baden-Württembergs ist. "Wir dachten, dass wir mal eben mit dem Taxi vom Schliffkopf zum Sportplatz fahren können. Aber da waren wir schnell 35 Euro los", lachen die drei Darmstädter, die zu den Glücklichen gehören, die sich Dauerkarten für die Bundesliga-Saison am Böllenfalltor ergattern konnten.

Der Mannschaft ins Trainingslager hinterher gefahren ist auch der Fanbeauftragte Alexander Lehné. Baiersbronn ist für ihn ebenfalls eine Premiere. "Für viele Darmstädter ist das hier ein netter Familienausflug bei bestem Wetter", meint Lehné, der mit Freundin und Hund im Ortsteil Schwarzenberg Quartier bezogen hat. "Ein wenig die Ruhe und die Natur genießen. Hier geht alles ein bisschen langsamer als in Darmstadt und die Leute sind echt freundlich", lobt der Fanbeauftragte.

Er schätzt: Etwa 60 der 100 mitgereisten Darmstädter seien nur für einen Tag gekommen, um das Testspiel gegen den Kehler FV zu sehen. Der Rest verbringe genau wie er gleich mehrere sonnige Tage in Baiersbronn. Acht Lilien-Anhänger haben sogar die von der Baiersbronn Touristik angebotene Fanreise gebucht – mit organisierten Ausflügen, Unterkunft, freiem Eintritt zum Testspiel in Klosterreichenbach und einem "Meet and Greet" mit den Darmstädter Spielern.

Die illustre Hessen-Runde um Wolfgang, Eric und Horst, die immer wieder angeregt mit den einheimischen Zuschauern ins Gespräch kommt, ist derweil total begeistert von den Klosterreichenbacher Platzverhältnissen mit der tollen Aussicht. "Wir hätten als Bundesligist auch gerne so einen Platz bei uns", schwärmt Horst.