Ein großes Brett, darauf 40 Stielgläser. Mehr braucht eine Künstlerin wie Susanne Würmell nicht, um ein Publikum per Fingerstreich zu bannen. Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Experiment ist geglückt: "Rübezahl und der Glashändler" mit Musik auf der Glasharfe betören das Publikum

Von Tina Eberhardt

Baiersbronn-Buhlbach. Ein Brett voller Kristallkelche, zwei kreative Künstler und ein völlig betörtes Publikum. Das Experiment mit besonderem Programm an besonderem Ort ist beim Schwarzwald Musikfestival geglückt – mit einer Glasharfe in der Glashütte Buhlbach.

Auf 40 Stielgläsern lässt sich mit der entsprechenden Fingerfertigkeit offenbar alles machen: betörende Melodien mit Hypnoseeffekt oder ein Tango, der selbst nach anderthalb Stunden Zuhörens noch eine solche Spannung verbreitet, dass das Publikum wie an der Schnur gezogen gen Bühne lehnt. Dabei sah die Bühnenausstattung des Programms "Rübezahl und Glasharfe" ziemlich unspektakulär aus. Neben dem Satz Gläser noch ein Tischchen für den Erzähler – das war’s. Mehr brauchten Glasharfenistin Susanne Würmell und Erzähler Henning Westphal auch nicht, um für die komplette Programmdauer Totenstille in der Glashütte einziehen zu lassen – durchbrochen nur, wenn die Zuhörer nach einer Musikeinlage wieder bewundernd die Luft durch die Zähne einzogen.

Mit der Glashütte Buhlbach war ja auch der perfekte Ort für diese Art von Programm gegeben. Vor dem Fenster pfiffen noch die Vögel, drinnen rahmte die auf Glastafeln gemalte Geschichte des Spielorts das Geschehen ein, ergänzt von den ehrenamtlichen Helfern des Kulturparks, die sich in historischer Tracht um die Gäste kümmerten. Diese waren sichtlich gespannt, als Susanne Würmell, ihr großes Glastablett auf der Schulter balancierend, die Bühne betrat. Klänge wie Flöten und Orgelpfeifen, Kirchenglocken und Chöre stiegen dort binnen Sekunden unter Würmells Fingern empor.

Ohr und Geist mussten mit diesem unerwarteten, feinen und zugleich gewaltig klingenden Ansturm auf die Sinne erst einmal zurechtkommen. Mit einer ruhigen, aber sehr dynamischen Erzählerstimme fing Henning Westphal die verwirrten Sinne wieder ein; holte sie in die Geschichte von Rübezahl, die bodenständig und fassbar war. Nach dem Ende des Programms blieb die Frage, ob so ähnlich auch die Rezeptur des Rattenfängers von Hameln war. In Buhlbach wären die betörten Zuhörer den beiden Künstlern wohl willig zur Tür hinaus und überallhin gefolgt. Susanne Würmell und Hennig Westphal harmonierten prächtig miteinander auf der Bühne. Beide verfügen über ein erdverbunden wirkendes Charisma, das die perfekte Ergänzung für das ungewöhnliche Kunstprogramm lieferte. Mit eindringlicher, aber nie aufdringlicher Dramaturgie erzählte Henning Westphal die Geschichte des armen Glashändler-Ehepaares Steffen und Ilse, die – jeder für sich – eine Lektion des Berggeists Rübezahl erteilt bekamen. Am Schluss stand ein Happy-End, dazwischen – wie es sich für eine Erzählung aus der Zeit der Aufklärung gehört – diverse moralische Botschaften.

Susanne Würmell umrahmte die Erzählabschnitte mit zunehmend Staunen machenden Musikeinlagen. Die hypnotischen, geheimnisvoll lockenden und zugleich bedrohlich wirkenden Klänge, mit denen die Anrufungen des Berggeist vertont wurden, passten noch ins Bild dessen, was sich der Kopf zum Stichwort Glasharfe ausgemalt hat. Als Würmell aber unvermittelt in Mozarts Rondo Alla Turca wechselte, drehten sich die Zuhörerköpfe ungläubig lächelnd zueinander.

Mit der Präzision eines Stabspielers zog Würmell die Töne aus den unscheinbar aussehenden Kristallkelchen. Als einige Passagen später Edvard Griegs "In der Halle des Bergkönigs" erklang, war die Faszination der Zuhörer gespannter Neugierde gewichen. Was kann denn noch kommen? Südländische Rhythmen mit Gitarrenunterstützung zum Beispiel. Oder – nach einem tosenden Applaus des aus dem Bann gelösten Publikums – eine packende Version des Libertango, an der vermutlich auch dessen Schöpfer Astor Piazolla wenig hätte auszusetzen gehabt.

"Ein Lob an das Publikum", meinte Henning Westphal am Ende der anderthalb Stunden stiller Spannung im Saal. "Das war eine lange Zeit, die Sie durchgehalten haben." Lange Zeit? Auch darüber konnten viele im Publikum nur lächelnd den Kopf schütteln. Man wäre noch viel länger sitzen geblieben, meinte mancher im anschließenden Gespräch. Die künstlerische Hypnose hatte offensichtlich durchschlagende Wirkung.