Der Historiker und Publizist Hans-Dieter Frauer bei seinem Vortrag "Württemberg – der Himmel auf Erden". Foto: Bechtle Foto: Schwarzwälder-Bote

Reformation: Veränderung in Württemberg setzt erst 17 Jahre nach Luthers Thesenanschlag ein

Bad Wildbad. Der Herrenberger Historiker und Publizist Hans-Dieter Frauer war zu Gast bei der von der evangelischen Erwachsenenbildung initiierten Veranstaltungsreihe "Reformation im Oberen Enztal". In seinem Vortrag "Württemberg – der Himmel auf Erden" referierte er im Ludwig-Hofacker-Haus über die Spuren dieser Veränderung der deutschen Geschichte vor 500 Jahren, die allerdings in Württemberg erst 17 Jahre nach dem Thesenanschlag in Wittenberg einsetzte.

Luthers Thesen wurden zuerst in Stammtischgesprächen oder auf Märkten verbreitet und diskutiert. Da die Lutherbibel in deutscher Sprache sehr schnell in Württemberg verbreitet wurde und die evangelischen Pfarrer in deutscher Sprache predigten, war "Gottes Wort bleibt in Ewigkeit" die Grundlage für den Glauben der Menschen im damals sehr kleinen Württemberg mit rund 280 000 Einwohnern.

Die Abschaffung von Prozessionen, Reliquien, Feldkreuzen, Wallfahrtskirchen, von allem an Orten, wo nicht regelmäßig Gottesdienste gehalten wurden, gehörte im evangelischen Württemberg ebenso zur Veränderung wie die Einführung eines flächendeckenden Schulwesens durch den späteren Herzog Christoph. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein hatte die Kirche die Oberaufsicht über die Schulen.

Not und Elend im Land

Andererseits war es so, dass man den seit 1582 gültigen gregorianischen Kalender in Württemberg erst 200 Jahre später (1755) einführte.

Der Dreißigjährige Krieg brachte auch in Württemberg, vor allem nach der Schlacht bei Nördlingen (1634), große Not und Elend ins Land, sodass manche Ortschaften völlig verödet waren. Von rund 480 000 Menschen lebten 1648 nach Beendigung des Krieges nur noch 100 000.

Unter Johann Valentin Andreä (1586-1654), der 1620 als Superintendent nach Calw kam, das damals wegen der florierenden Wollproduktion eine reiche Stadt war, wurde die allgemeine Schulpflicht auch für Mädchen eingeführt. Die Aus- und Weiterbildung der Pfarrer sowie deren regelmäßige Visitation und die "allgemeine Kirchenzucht" brachten auch für die Menschen strenge Vorschriften über das Verhalten in der Öffentlichkeit und dadurch ein engmaschiges Netz, auch der Überwachung. Der gleichzeitig entstehende Pietismus veränderte die Lebensverhältnisse und ermutigte zum persönlichen Glauben. Es entstanden die Hauskreise und Gemeinschaften, welche die Bibel studierten, selbst besprachen und oft erweiterten.

Andererseits – auch durch den Mangel an Bodenschätzen und reichen Städten – entstand das schwäbische Tüftlertum, die Schaffigkeit und Sparsamkeit, die zahlreichen Erfindungen, der Maschinenbau und die Feinmechanik, für die noch heute Baden-Württemberg bekannt ist. Dabei kommt Philipp Matthäus Hahn (1739-1790), Pfarrer, Ingenieur, Astronom und Erfinder, eine besondere Rolle zu, die aus dem Pietismus entstand.

Frauer meinte abschließend, dass viele Sitten und Gebräuche auch heute noch bestünden und wies schmunzelnd auf die Kehrwoche hin, die es sonst in Deutschland nicht gebe.