Tante-Emma-Läden sind wieder gefragt. Foto: pixfly/ Shutterstock

Rückkehr der Dorfläden sägt am Hinterland vieler Discounter. Erfolgreiche Konzepte von Kleinst-Nahversorgern.

Bad Teinach-Zavelstein - Der Lebensmitteleinzelhandel befindet sich in einem Strukturwandel – gerade in ländlichen Räumen wie dem Schwarzwald und der Schwäbischen Alb. Der Tante-Emma-Laden kehrt zurück als Genossenschaft oder Sozialprojekt. Noch mit kleinen Marktanteilen. Aber es reicht, um die Großen der Branche nervös zu machen.

Das wurde auf einer Tagung zum Thema Nahversorgung im ländlichen Raum in Bad Teinach-Zavelstein (Kreis Calw) deutlich, zu der der Handelsverband Baden-Württemberg und die Akademie Ländlicher Raum Baden-Württemberg Bürgermeister und Betreiber kleinflächiger Nachbarschaftsmärkte eingeladen hatte. Mit am Tisch und auf der Rednerliste: Vertreter zweier Platzhirsche im Einzelhandel – Edeka und Lidl. Die nicht müde wurden, von Mindestgrößen der Kommunen zu predigen, ab der sich überhaupt erst ein Lebensmitteleinzelhandel rechnen würde.

Wolfgang Seiler, zuständig für Expansionen bei Edeka Südwest (Offenburg): "Kleinflächen unter tausend Quadratmeter werden die Ausnahme bleiben." Und Norman Gerber von Lidl ergänzt: "Realistisch sind Märkte in Kommunen ab 5000 Einwohner mit mindestens 10 000 Einwohnern im Hinterland."

Klingt plausibel, wenn nicht unmittelbar vorher Dirk Seidemann vom Regionalverband Ostwürttemberg das exakte Gegenteil behauptet hätte. Und sehr konkrete Zahlen und Fakten aus den Erfahrungen in den Landkreisen östlich von Stuttgart in den Nordschwarzwald mitgebracht hätte. Seidemann berichtete von der Entwicklung einer Regionalstrategie für das strukturschwache Ostwürttemberg, bei der auch gerade die Nahversorgung im ländlichen Raum in den Fokus gestellt wurde. Das überraschende Ergebnis, als man sich einmal ganz genau die Kaufkraftflüsse anschaute: Für 13 eigentlich als unversorgbar geltende Kommunen konnte der Regionalverband "freies Umsatzpotential für einen örtlichen Lebensmitteleinzelhandel" in Höhe von je rund 1,6 Millionen Euro nachweisen.

Dass das nicht nur theoretische Werte sind, zeigt die Praxis, die der Regionalstrategie mittlerweile folgte: Vier Lebensmittelgeschäfte haben in den ermittelten Regionen durch lokale Initiativen bereits eröffnet, fünf weitere befinden sich in Gründung. Realisierte Handelsflächen: jeweils zwischen 30 und 450 Quadratmetern, auf denen sich neben Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs auch Dienstleistungsangebote finden lassen wie die Post- und Paketannahme, vielleicht eine Café-Ecke als neuem Dorftreff. "Es gibt da eine überraschende Sortimentsvielfalt auf einem hohen Qualitätsniveau."

Positiver Nebeneffekt, so Seidemann: Je zwei bis drei Vollzeitstellen wurden in den neuen Tante-Emma-Läden geschaffen. In Orten, wo es sonst kaum Arbeit gebe. Und auf Handelsflächen, die eigentlich als nicht mehr nutzbar galten in ihren Dorflagen.

Klar, dass das vom ostwürttembergischen Regionalverband ermittelte "freie Umsatzpotenzial" eigentlich nicht wirklich "frei" war. Das Geld wurde dort auch bisher von den Kunden ausgegeben – aber meist eben in der nächst erreichbaren größeren Stadt, wo sich die kumulierten Handelsflächen von Discountern, Supermärkten und Warenhäusern zentralisiert befinden. Eine Statistik von Edeka-Mann-Seiler dazu: Zwischen 1990 und 2010 brachen die Existenzen von kleinen Lebensmittelläden massiv weg im Land, ihr Anteil reduzierte sich am Gesamtumsatz in Handel von über 20 Prozent auf gerade einmal 3,5 Prozent.

Seit 2011 gilt Markt für Lebensmittel in Deutschland als gesättigt

Im gleichen Zeitraum explodierten die Umsätze der Discounter im selben Rahmen. Auch ein Strukturwandel, den die Mittelzentren auf Kosten der umliegenden Kommunen mit der Ausweisung immer neuer Handelsflächen "auch über ein vernünftiges Maß hinaus" (Zitat Seiler) befeuerten. Das Resultat: Seit 2011 gilt der Markt für Lebensmittel in Deutschland als gesättigt – obwohl auch seitdem immer noch die Zahl der Anbieter und Filialen wächst. "Wir befinden uns natürlich längst in einem rigiden Verdrängungswettbewerb", bestätigt Seiler.

Und nun droht diesen sowieso unter extremen Wettbewerbsdruck stehenden Filialisten das Wegbrechen des Hinterlandes – durch das Wachstum der kleinen und kleinsten Nahversorger, die die dörflichen Kommunen wie im Nordschwarzwald auch vor allem brauchen, um sich für Neubürger "schick" zu machen. Die man hier dringend in die Orte locken will, um auch die übrige Infrastruktur zu stärken – also Ärzte, Schulen, Kindergärten, Arbeitgeber als Gewerbesteuerzahler.

Die Gemeinde Neuweiler, ein Nachbarort Bad Teinachs, ist solch ein Beispiel. Neuweiler reißt mit seinen knapp über 3100 Einwohner immer wieder knapp die Mindestgröße für die Ansiedlung eines "großen" Supermarkts – wobei "groß" eine Fläche bis 800 Quadratmeter Verkaufsfläche meint. Nach wirklich extremen Anstrengungen ist es jüngst aber gelungen, mit einem privaten Investor zumindest den ehemaligen Kleinst-Dorfladen zu reaktivieren. Ein Erfolg.

Dass der Trend zur kleinen Fläche tatsächlich bereits groß ist, bestätigt Michael Roth vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband – der mittlerweile 25 genossenschaftlich getragene Dorfläden betreut, von denen der Großteil mittlerweile bereits "eine schwarze Null" in den Umsätzen schreiben kann. Und vor allem Rainer Utz, dessen Ochsenhausener Großhandelsunternehmen sich auf die Belieferung kleiner und kleinster Läden unter dem Markendach "Um’s Eck" und "Dorfladen" für Verkaufsflächen bis 350 Quadratmetern spezialisiert hat: Ansehliche 235 Handelspartner betreut das Familienunternehmen mittlerweile in ganz Süddeutschland. Und führt damit ebenfalls die Marktstrategien der "Großen" ein stückweit ad absurdum.

Aber, wie gesagt, im deutschen Lebensmitteleinzelhandel herrscht ein "knüppelharter" Verdrängungswettbewerb. Expansions-Experte Wolfgang Seiler errkennt für sein Haus "die Zeichen der Zeit". "Mit zwei Dritteln der Bürgermeister, die sich für diese Veranstaltung angemeldet haben, sind wir bereits im Gespräch." Schließlich sei auch die Edeka als eine Genossenschaft selbstständiger Unternehmer organisiert. Und die guten alten "Tante-Emma"-Läden der eigentliche Ursprung des heutige Branchen-Primus. Die Nahversorgung also quasi die "DNA" des Unternehmens.

Weshalb man, wenn man einmal genau hinschaut, zum Beispiel Namen aus der Edeka-Familie wie "Nah&Gut" oder der Haus-Bäckerei "K&U" auch immer öfter bei der zeitgemäßen Antwort der einstigen "Tante Emma" finden könne: bei "Onkel Esso", wie es ein Redner an diesem Nachmittag treffend ausdrücken sollte. Denn Tankstellen – frei von Ladenöffnungszeiten und in den meisten auch ländlichen Orten immer noch vertreten – seien heute auch längst eine nicht mehr wegzudenkende Säule der dörflichen Nahversorgung.