Evelyn Nagel als Krankenpflegerin Vicky (links) und Ursula Schucht als Martha Foto: Keck Foto: Schwarzwälder-Bote

TheaterUrsula Schucht und Evelyn Nagel in "Paradiso"

Von Gerhard Keck

Freudenstadt. Im Theater im Kurhaus Freudenstadt war die Badische Landesbühne Bruchsal zu Gast mit dem Zwei-Personen-Stück "Paradiso" von Lida Winiewicz in einer Inszenierung von Judith Kriebel. Die beiden Charaktere, überzeugend interpretiert von Evelyn Nagel und Ursula Schucht, entließen ihr Publikum am Ende in Nachdenklichkeit. Das Thema und die schauspielerische Leistung hätten allerdings mehr Zuspruch seitens der Öffentlichkeit verdient gehabt.

Die ehemalige Schulleiterin Martha (Ursula Schucht) verbringt ihre Tage regelmäßig am Parkteich und füttert Enten. Dort trifft sie auf die arbeitslose Krankenpflegerin Vicky (Evelyn Nagel). Es entwickelt sich trotz anfänglicher Antipathie eine Freundschaft zwischen den Frauen. "Bei mir ergibt sich nichts mehr", sagt die 81-jährige Martha, die sich in ihrer Verbitterung eingerichtet hat und nicht ohne Grund den Annäherungsversuchen der viel jüngeren Vicky mit Misstrauen begegnet.

Verbale Rangeleien zwischen Protagonisten

Verbale Rangeleien prägen anfangs die Kommunikation der beiden. Martha kann gar nicht anders, als Vicky ständig besserwisserisch zu traktieren. Vicky, gestählt und desillusioniert durch ihre harte Berufstätigkeit, hält mit unverbildeter Berliner Schnauze dagegen: "Was machen alte Leute noch außer stinken?" Dazu gibt sie sich überzeugt: "Am Schluss bin ich unentbehrlich für Sie!"

Doch Martha und Vicky finden eine gemeinsame Basis über beiderseitige materielle Vorteile hinaus. Die Krankenpflegerin bringt Schwung in das muffige Dasein Marthas. Wie Ursula Schucht den tiefgehenden gesundheitlichen Einbruch Marthas und den damit einhergehenden Verfall darstellerisch auslotet, ist große Schauspielkunst. In ebenso souveräner Weise fängt Evelyn Nagel als Vicky diese Einschnitte auf. Sie weiß, dass Marthas angeblicher Bekanntenkreis nur ein Trugbild ist: "Keen Mensch besucht Sie!"

Der Humor, der dem Stück innewohnt, wirkt häufig gallig. Er illustriert, dass das Altern Ängste hervorruft. "Ich gehe niemals in ein Pflegeheim!", schleudert Martha ihrer Vertrauten entgegen. Diese Abneigung wird auch nicht dadurch gemildert, dass das angepriesene Haus in euphemistischer Überhöhung den Namen "Paradiso" trägt. Rührend ringt Vicky um Marthas intellektuelle Rehabilitation nach deren Schlaganfall.

Zur Vorbereitung im Pflegeheim hospitiert

Judith Kriebels Inszenierung gewinnt Profil durch die Konzentration auf das intensive Spiel. Die Regisseurin hat zur Vorbereitung der Aufführung in einem Pflegeheim hospitiert und dabei wichtige Anregungen gewonnen. Das Bühnenbild, typisch für die Badische Landesbühne, ist aufs Äußerste reduziert. Dennoch vermögen die wenigen Requisiten die Vorstellungskraft zu befördern. Andreas Kramkowski hat seine Musik so komponiert, dass sie als verbindendes Element zwischen den Szenen fungiert. "Paradiso" ist ein metaphorisch angelegtes Stück, das, der Aktualität verpflichtet, sein Publikum gar nicht unberührt lassen kann.