Mitarbeiter diakonischer Einrichtungen demonstrierten im März 2007 in Stuttgart gegen mögliche Gehaltseinbußen. Der Protest richtete sich an die Synode der evangelischen Landeskirche in Württemberg,                                            Foto: Weißbrod Foto: Schwarzwälder-Bote

Akademietagung zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechts / Dienstgemeinschaft ist kein Dogma

Bad Herrenalb. Als "offenes Leitbild", nicht als "dogmatisierte Ordnungsform" will Johannes Eurich, Direktor des Diakoniewissenschaftlichen Instituts (Heidelberg), die Rede von der "Dienstgemeinschaft" verstanden wissen, mit der das kirchliche Arbeitsrecht gemeinhin umschrieben wird.

Auf der Tagung "Reform des kirchlichen Arbeitsrechts" sagte er in Bad Herrenalb, es gelte, neue Modelle diakonischer Arbeit zu entwickeln und die eigenen Arbeitsbeziehungen an den sozialethischen Prinzipien des Glaubens neu auszurichten. Reformmodelle seien in Hannover und im Rheinland bereits auf den Weg gebracht. Die Fachtagung der Evangelischen Akademie Baden gemeinsam mit dem Diakonischen Werk Baden und dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt beleuchtete theologische, rechtliche und sozialethische Implikationen des Begriffs "Dienstgemeinschaft".

Von einem historisch zutiefst "belasteten und undemokratischen Begriff" sprach der Sozialethiker Franz Segbers (Marburg): "Dienstgemeinschaft" klinge kirchlich theologisch, habe aber in Wahrheit keine eigenständigen kirchlichen Wurzeln. Vor 1933 sei er in keiner kirchlichen Ordnung vorgekommen. Nach 1952 sei er "durch Theologisierung entnazifiziert" und rechtspolitisch zu einem Erfolg geworden.

Synonym für den Verkündigungsauftrag

Das Grundanliegen einer "Dienstgemeinschaft" wollte jedoch auch Segbers als Auftrag verstanden wissen. Die Kirchen sollten sich ausdrücklich mit ihren Mitarbeitenden und Gewerkschaften verbinden und für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Nur so ließen sich die Rahmenbedingungen des Marktes gerade im sozialen Bereich mitgestalten. Letztlich gehe es um eine neue "Grundrechte basierte diakonische Unternehmenskultur", die den Kriterien des Evangeliums gerecht werde.

Günther Bauer, Vorstandsvorsitzender der Inneren Mission München, plädierte hingegen für ein dezidiertes Festhalten am Begriff "Dienstgemeinschaft". Als Scharnierbegriff zwischen Theologie und Recht sei er geradezu ein Synonym für den Verkündigungsauftrag der Kirchen. Die "Kennzeichnung als Dienst sei die zentrale Bestimmung protestantischer Ekklesiologie". Bauer wies insbesondere darauf hin, dass es in der Diakonie bis heute nie nur um Erwerbsarbeit gehe. Die Hilfe zur Selbsthilfe und das Ehrenamt seien "genuine Teile der Dienstgemeinschaft". Damit gehe "Dienstgemeinschaft" deutlich über den Begriff "Betriebsgemeinschaft" hinaus.

Der Sozialethiker Wolfgang Maaser (Bochum) zeigte, dass der Begriff "Dienstgemeinschaft" nach 1945 mit Elementen aus der Barmer Erklärung aufgewertet worden sei. Das Erbe der bekennenden Kirche sei damit missbraucht worden. Angesichts der schwierigen Historie des Begriffs "Dienstgemeinschaft", aber auch vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in Richtung weltanschaulicher Pluralismus, rief Maaser dazu auf, die kirchliche Position zu überdenken. Insbesondere gelt es, die Mitarbeiter bei der Gestaltung des zukünftigen Arbeitsrechts zu Wort kommen zu lassen.

Von drei Optionen für das zukünftige kirchliche Arbeitsrecht sprach der Jurist Jacob Joussen (Bochum): die Option kirchengemäßer Tarifverträge, die Möglichkeit von Tarifverträgen im säkularen Modell oder die Beibehaltung des bisherigen "Dritten Wegs" Letztlich werde die innere Akzeptanz entscheiden, welcher Weg in Zukunft praktiziert werden könne.

Die Möglichkeit der Bestreikung kirchlicher Einrichtungen deutete die Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr (Kassel) an. Das Bundesarbeitsgericht habe verlangt, dass die Gewerkschaften "einen effektiven Einfluss auf die Festlegung der Arbeitsbedingungen in den kirchlichen Einrichtungen haben müssen, wenn diese den Dritten Weg gehen". Zurzeit seien die Recht und Einwirkmöglichkeiten der Gewerkschaften jedoch in keiner Weise garantiert. Das bedeute rechtlich, dass kirchliche Einrichtungen bestreikt werden können, auch wenn sie geltend machen, den Dritten Weg zu wählen.

Podiumsrundezum Abschluss

In der abschließenden Podiumsrunde betonte Oberkirchenrat Urs Keller, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Baden (Karlsruhe), dass die kirchliche Unternehmenskultur nicht mit einer Form der Arbeitsrechtssetzung korreliere: Eine "Dienstgemeinschaft" sei auf unterschiedliche Weise zu realisieren. Er wies darauf hin, dass die Evangelische Landeskirche in Baden einen Diskussionsprozess bis 2017 angestoßen habe, der Möglichkeiten eines künftigen Arbeitsrechts ausloten will.

Die Gewerkschaften sind – so Irene Gölz, Fachbereichsleiterin der Gewerkschaft Verdi (Stuttgart) – bisher aber noch außen vor: zwar gebe es inoffizielle Gespräche zwischen Gewerkschaft und Kirche. Verdi beteilige sich jedoch nicht an der arbeitsrechtlichen Kommission, da es sich dabei um keine angemessene koalitionsgemäße Beteiligung handele. Sie hielt es für notwendig, möglichst bald den Weg in Richtung Tarifverträge zu gehen.

Insgesamt seien in den vergangenen Jahren positive Veränderungen im Gespräch zwischen Kirche und Gewerkschaft zu beobachten. Die Teilnehmer des Podiums sprachen einhellig davon, dass man große Fortschritte gemacht habe. Um der Sache willen sei man bereit, Kompromisse zu finden.