Sonnenaufgang am 20. April dieses Jahres: Die Sonne schob sich kurz nach 8 Uhr genau dort über den Gipfel des Mayenbergs, wo sie erwartet worden war. Foto: Geschwill Foto: Schwarzwälder-Bote

Gerhard Geschwill kann erklären, warum die Längsachse des alten Herrenalber Klosters aus der Ost-West-Richtung abweicht

Bad Herrenalb (mak). Das Thema "Warum die Längsachse des alten Herrenalber Klosters aus der Ost-West-Richtung abweicht" klingt zunächst mal  ein bisschen abstrakt.  Der Bad Herrenalber  Gerhard Geschwill hat nach einigen Nachforschungen   im Frühjahr einen kleinen Aufsatz darüber beendet.

Die  Ergebnisse wurden mit Pfarrer Johannes Oesch und einigen Gemeindemitgliedern   überprüft.   Was  relativ trocken klingt, ist laut Geschwill  in Wirklichkeit eine kleine kulturhistorische Sensation – zumindest für Bad Herrenalb. Auch der Generalprokurator der katholischen Zisterzienser, Pater Meinrad Tomann  aus Rom,  der vor  Kurzem in Herrenalb weilte, habe sich darüber gefreut, "dass es wieder einmal bewiesen  worden ist".

Gerhard Geschwill, der Interessierten  gerne unter   Telefon  07083/9 25 08 04 Auskunft gibt,  verfasste für unsere Zeitung einen Bericht. Der ehemalige Lehrer wohnt seit drei Jahren in Bad Herrenalb und  hat ein Vergnügen daran, historischen (aber auch aktuellen) "Problemen" seiner neuen Heimatstadt auf den Grund zu gehen:

"Ostersonntagmorgen 2014. Über Bad Herrenalb ist längst die Sonne aufgegangen, nur der Klosterbereich liegt noch im Schatten des Mayenberges. Am  Paradies, dem noch weitgehend erhaltenen Teil des ehemaligen Klosterkomplexes, stehen Pfarrer Johannes Oesch und ein halbes Dutzend seiner Gemeindemitglieder, die ihr gemeinsames Osterfrühstück unterbrochen haben, um einem Spektakel beizuwohnen, das nur zweimal im Jahr stattfindet: den Aufgang der Sonne genau in der Verlängerung der ›heiligen Baulinie‹, also der Längsachse der Klosterkirche.

Zu diesem ›Lokaltermin‹ hatte ich eingeladen, denn an diesem Tag würde der Sonnenaufgang nicht durch Wolken verdeckt sein. Seit zwei Jahren hatte ich mich mit der Tatsache beschäftigt, dass die Längsachse der alten Kloster-  und heutigen Pfarrkirche nicht etwa in Ost-West-Richtung verläuft, wie wir es alle in der Schule gelernt haben, sondern um 13 Grad nach Norden abweicht. Zufall? Anpassung an lokale Bodenverhältnisse? Aber die Zisterzienser hatten ihre strengen Architektur-Prinzipien, genau wie andere Orden im Mittelalter. Ich hatte mir die Untersuchungen angeschaut, die seit einigen Jahrzehnten von Architekten, Historikern und Theologen vorgenommen werden und sich mit dem Thema ›Ostung mittelalterlicher Kirchengebäude‹ beschäftigen. Sie verfolgen die Hypothese, dass die ›heilige Baulinie‹, die bei Beginn der Konstruktion eines Kirchengebäudes traditionell vom Bischof oder Abt abgeschritten wurde, eben nicht die einfache Ost-West-Richtung war, sondern der Sonnenaufgangspunkt am Tag des jeweiligen Kirchenpatrons. Dass der Sonnenaufgangspunkt im Laufe des Jahres in unseren Breiten zwischen den Extremen Südosten über Osten bis Nordosten wandert und nur bei Frühlings- und Herbstanfang genau im Osten liegt, hat schließlich jeder schon bemerkt.

Interessierte treffensich gegen 8 Uhr

Wer aber war der Schutzpatron der Zisterzienserklöster? Nun – die Gottesmutter Maria, deren Hauptfeiertag, nämlich ihre ›Himmelfahrt‹, am 15. August gefeiert wird. Würde das also bedeuten, dass die Sonne am 15. August genau in der Verlängerung der Längsachse über dem Mayenberg aufgeht? Ja – das galt aber nur um das Jahr 1160, dem vermutlichen Baubeginn der alten Klosterkirche, und diesen Punkt hatten die Mönche in den ersten Jahren ihrer Ansiedlung in Ruhe beobachten und genau festlegen können. Denn man muss wissen, dass damals der Julianische Kalender galt, der in der katholischen Welt am Ende des 16. Jahrhunderts und schließlich weltweit durch den Gregorianischen Kalender ersetzt wurde – und der einfach ein paar Tage ausließ, um die nötigen Korrekturen zu schaffen. Das wiederum bedeutet, dass aus heutiger Perspektive der 15. August 1160 etwa dem 23. August 2014 entspricht, also dem kommenden Wochenende.

Wer sich die Mühe machen will, diese Hypothese zu überprüfen, ist daher eingeladen, sich gegen 8 Uhr an der Nordseite der Klosterkirche einzufinden und zu beobachten, ob die Sonne tatsächlich in der Verlängerung der Längsachse aufgeht. Kompass, Sonnenbrille und Fotoapparat nicht vergessen!

Dies wird durch den Baumwuchs erschwert sein, ebenso durch die Tatsache, dass man heute nicht mehr nachvollziehen kann, aus welchem Winkel man damals gepeilt hat. Denn der verändert den Zeitpunkt und Ort des Aufgangs natürlich. Und wenn Wolken am Himmel sind, darf man ruhig im Bett bleiben, sollte sich diesen Artikel aber ausschneiden fürs nächste Jahr.

Bleibt die Frage: Wieso war die  erwähnte kleine Gruppe  aber ausgerechnet am Ostersonntag dieses Jahres am Kloster versammelt? Verblüffend einfache Antwort: Da die Sonne während des Jahres den entsprechenden Punkt zweimal passiert, muss man nur den passenden Frühjahrstag zum 23. August bestimmen. Das ist in unseren Breiten der 20. April – der 2014 am Ostersonntag war. Und tatsächlich: Zur Freude und Begeisterung der Anwesenden schob sich die Sonne kurz nach 8 Uhr genau dort über den Gipfel des Mayenbergs, wo sie erwartet worden war: in der Verlängerung der ›heiligen Baulinie‹ der alten Klosterkirche –was zu beweisen war.

Für den Rest der Welt nichts Bewegendes, für Bad Herrenalb aber sicher eine kleine kulturhistorische Sensation und wert, bei zukünftigen Klosterführungen erwähnt zu werden."