Albrecht Dürer, Die Burgundische Heirat, um 1517 (aus dem Triumphzug Kaiser Maximilians I.). Foto: Universität Graz

1514 unterzeichneten Herzog Ulrich von Württemberg und die Landstände den „Vertrag zu Tübingen“, der den Bürgern Freiheits- und Mit­bestimmungsrechte einräumte – 500 Jahre später gibt es eine Sonderausstellung unter dem Titel „1514. Macht Gewalt Freiheit. Der­ ­Vertrag zu Tübingen in Zeiten des Umbruchs“.

Stuttgart/Tübingen – „O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben, (…) Die Studien stehen in Ansehen, die Geister blühen auf. Barbarei nimm den Strick, deine Verbannung steht bevor!“ So überschwänglich begrüßte Ulrich von Hutten, von Kaiser Maximilian zum Dichterkönig ausgerufen, 1516 das eben angebrochene neue Zeitalter.

Auch der am 8. Juli 1514 unterzeichnete „Vertrag zu Tübingen“ zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und den Landständen, der den Bürgern Freiheits- und Mitbestimmungsrechte einräumte und ihnen Freizügigkeit und Rechtssicherheit zubilligte, mutet zukunftweisend an.

Anlässlich der 500-jährigen Wiederkehr des verfassungsrechtlich bedeutsamen Datums widmen die Universitätsstadt Tübingen und die Kunsthalle Tübingen dieser „Magna Charta Württembergs“ eine umfangreiche Sonderausstellung. Unter dem Titel „1514. Macht Gewalt Freiheit. Der Vertrag zu Tübingen in Zeiten des Umbruchs“ klären rund 280 hochkarätige Exponate aus Museen, Archiven und Sammlungen des In- und Auslandes über einen kulturhistorischen Wandel auf, dessen Folgen bis in die Gegenwart reichen.

Noch nie aber, so Götz Adriani, war in der Kunsthalle eine Ausstellung zu sehen, bei der Wort und Bild einander so ebenbürtig begegnet wären. Historische Urkunden und Archivalien wetteifern mit Gemälden, Zeichnungen, Graphik und Landkarten um Aufmerksamkeit. Natürlich ergänzt das eine das andere, die Vertragswerke etwa Bildnisse der Protagonisten beziehungsweise umgekehrt.

Dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, bestätigt sich freilich nicht. Die komplexe Materie erschließt sich dem Besucher am besten, wenn er sich einer Führung anvertraut oder den informativen, von Götz Adriani und Andreas Schmauder herausgegebenen Katalog studiert. Darin sind sämtliche Exponate abgebildet und kommentiert.

Die Zeitenwende sollte ja nicht ganz so rosig kommen wie das Dichterwort verspricht. Das vom Kaiser initiierte und vom Tübinger Vogt Konrad Breuning ausgehandelte Abkommen zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und den Landständen räumte der „Ehrbarkeit“, der bürgerlichen Oberschicht, zwar Mitspracherechte bei der Kriegführung, der Steuereintreibung und beim Verkauf von „Land und Leuten“ ein, billigte auch Freizügigkeit und ordentliche Gerichtsbarkeit zu, verpflichtete die Bürger aber zur Übernahme der herzoglichen Schulden. Vor allem aber blieben Bauern und „kleinen Leuten“ die verbrieften Rechte versagt, sollten aber die Lasten des Vertrags nach Kräften mittragen.

Dabei war es der vom Remstal ausgegangene Aufstand des „Armen Konrad“ im Frühjahr 1514 gewesen, der Herzog Ulrich unter Druck gesetzt hatte. Mit kostspieligen Kriegszügen, Jagden und verschwenderischer Hofhaltung hatte der sich hoffnungslos überschuldet und zu heraufgesetzten Steuern auf Nahrungsmittel als Ausweg gegriffen. Das traf die Bauern so hart wie das zahlreiche Jagdwild, das die Felder ruinierte. Extrem schonungslos sprang der Herzog aber mit Konrad Breuning um. Obwohl er als Vertrauensmann Ulrichs dessen Interessen als auch die seiner eigenen Standesgenossen gewissenhaft gewahrt hatte, wurde der Vogt nach erbarmungsloser Haft und grausam erpresstem Geständnis wegen „Hochverrats“ 1517 auf dem Stuttgarter Marktplatz enthauptet.

Verfuhr der Herzog mit derartiger Skrupellosigkeit etwa schon nach den Ratschlägen, die Niccolo Machiavelli dem „Fürsten“ ans Herz legte? Der Florentiner hatte mit „Il Principe“ 1513 politisches Handeln als zynisches Machtkalkül ausgelegt. Tatsächlich jagten sich um 1514 Entdeckungen und neue Erkenntnisse. Kopernikus widerlegte das bis dahin geltende biblische Weltbild. Kepler untermauerte das neue heliozentrische mathematisch und machte die Astronomie zu einer Wissenschaft, schaffte es aber nur um Haaresbreite, seine kräuterkundige Mutter vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. 1486 war in Speyer der Hexenhammer erschienen. Botanik zu einer Wissenschaft aufzuwerten, war das Verdienst von Leonhart Fuchs, nach dem die Fuchsie benannt ist. Ein 1541 von Heinrich Füllmauer gemaltes Porträt erinnert an ihn.

Die „Neue Welt“ taucht 1507 auf einer Globussegmentkarte von Martin Waldseemüller als Zipfel am Rand auf und wurde von ihm „America“ benannt, weil er Amerigo Vespucci für den Entdecker hielt. Auf Waldseemüllers prächtigem, aber südlich statt nach Norden orientiertem Kartenwerk von 1520 steht Europa Kopf. Dafür sorgten mittelfristig auch Luthers 1517 lateinisch formulierten 95 Thesen, die der Reformator lediglich als Basis für gelehrte Disputationen aufgestellt hatte. Jakob Fugger aus Augsburg, „der Reiche“, den Hans Burgkmaier d. Ä. 1511 porträtiert hat, war schon europaweit vernetzt, finanzierte Kaiser Maximilians Kriege, später die Wahl Karls V. Der Kirche war er zur finanziellen Abwicklung des Ablasshandels zu Diensten.

Besonderen Schub erhielt die Entwicklung durch Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks. Für Kaiser Maximilian, laut Adriani „eine Koryphäe der Selbstinszenierung“, war das neue Medium die ideale Voraussetzung, um „seine Herkunft, sein Leben, seinen Tod und sein Nachleben grandios in Szene (zu) setzen.“ Der ideale Partner dafür war Albrecht Dürer. Auch das Nürnberger Genie war als Aufsteiger erfolgsorientiert und ein „begnadeter Verkaufsexperte“, der international Kontakte pflegte und sein Schaffen zur „Marke“ erhob.

Jetzt beherrscht die lange Wand im großen Saal der Kunsthalle „Der Triumphzug Kaiser Maximilians I.“ Die kolossale, aquarellierte Holzschnittserie ist ein Gemeinschaftswerk von Hans Burgkmaier, Albrecht Altdorfer und anderen, zu dem des Kaisers bevorzugter Künstler überraschend wenig beigetragen hatte. Der war mit einer „Ehrenpforte“ und dem als Herzstück gedachten „Großen Triumphwagen“ ausgelastet. Im ersten, mit der Feder gezeichneten Entwurf von 1514 ist die komplette Familie Maximilians versammelt. Kaum zu glauben, doch wahr ist, dass die mehrere Generationen übergreifenden Insassen der Kutsche nach und nach als Herrscher halb Europa dominierten.

Künstlerisch mehr entgegen kommen uns heute Dürers drei Meisterstiche von 1513 und 1514: „Ritter, Tod und Teufel“, „Melencholia“ und „Der Heilige Hieronymus im Gehäus“. Sie faszinieren mit ihrer Bedeutungstiefe und ihrer künstlerischen Meisterschaft. Neuland betrat Dürer mit der an „Adam und Eva“ (1504) erprobten Formel für das „rechte Maß“ idealer Schönheit. Bahnbrechend sind auch autonome Landschaften wie „Die große Fichte“ von Albrecht Altdorfer oder die „Beschiessung der Festung Hohenasperg durch den Schwäbischen Bund“ von Dürers Hand, die 1519 auf der Rückreise nach Nürnberg angefertigt, Herzog Ulrichs allmähliche Niederlage dokumentiert. Auch das 1515 in Holz geschnittene „Rhinozeros“, das der Künstler gar nicht gesehen hat, überzeugt noch immer.

Das alles begleiten Kriege. „Die Weissenauer Chronik des Bauernkriegs in Oberschwaben“ von Jacob Murer hält auf elf kolorierten Federzeichnungen die Ereignisse vom Frühjahr und Sommer 1525 fest. Schon 1499 setzten Eidgenossen ihre Autonomie gegen Maximilian durch, dessen Stammsitz, die Habsburg, im Kanton Aargau liegt. Weil die Habsburger aus Schweizer Sicht jedoch Schwaben waren, gilt der Schwabe den Schweizern bis heute als Schimpfwort. Ein Kupferstich von Meister PW erinnert an diesen „Schwabenkrieg“.

Auch am Vertrag zu Tübingen lässt sein langfristiges Fortwirken staunen. „Wie ein roter Faden zieht sich der verfassungsrechtliche Konflikt zwischen dem jeweiligen Fürsten und den Landständen durch die württembergische Geschichte bis in die napoleonische Ära“, schreibt Götz Adriani. Als konstitutioneller Monarch drängte Friedrich der Große, den ein Warhol-Porträt vergegenwärtigt, sogar das protestantische Ausland auf die Einhaltung des altwürttembergischen Verfassungsrechts. Es hat Freiherr vom Stein, hat Hegel, Uhland und Hauff und auch Friedrich Engels inspiriert. Und es hat bei den Leuten das Bewusstsein für Freiheitsrechte lebendig erhalten.

Substantiell haben die Pergamenturkunden bis 1944 überdauert. Da fielen sie im damaligen Stuttgarter ‚Archiv der Landschaft“ einem Fliegerangriff zum Opfer. Doch ziehen sie nun in der teilsanierten Kunsthalle Tübingen als deformierte Relikte Blicke auf sich..