Film- und Theaterregisseur Andres Veiel im Foyer der Interimsspielstätte Nord des Schauspiels Stuttgart Foto: Max Kovalenko

Wie ticken die Mächtigen in den Chefetagen der Banken? Der Dokumentarfilmer Andres Veiel versucht ihnen auf die Spur zu kommen in seiner zweiten Bühnen-Inszenierung „Das Himbeerreich“. An diesem Freitag ist Premiere am Stuttgarter Schauspiel.

Stuttgart - Wie ticken die Mächtigen in den Chefetagen der Banken? Wie sehen sie die Krise ihrer Branche? Der Dokumentarfilmer Andres Veiel versucht ihnen auf die Spur zu kommen in seiner zweiten Bühnen-Inszenierung „Das Himbeerreich“. An diesem Freitag ist Premiere am Stuttgarter Schauspiel.


Herr Veiel, was ist das Himbeerreich?
Ein Ort, an dem Bankvorstände Fahrer, Etagendiener, Sekretärin, Büro auf Lebenszeit haben – die Früchte ihres Lebens. Die Privilegien gelten bis zum Tod in vielen Banken weltweit. Der Ort ist Himmel und Hölle: Die Hölle sind die anderen, das Paradies die Versorgung, die man nie verliert, außer, man redet. Der Preis ist das Schweigen. Und unbedingte Loyalität. Sich dagegenzustellen, ist extrem schwer. Der frühere Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen hat das versucht und resigniert. Es wäre idealistisch gedacht, dass der Einzelne hier etwas anhalten kann. Gar nicht verändern, nur anhalten. Doch auch meine Sehnsucht ist die nach dem Helden, der nicht opportunistisch agiert, sondern im lutherschen Sinne sagt: Hier stehe ich und kann nicht anders! So jemanden habe ich nicht gefunden.

Wie haben Sie das Schweigen durchbrochen?
Die wollten sich erklären – aber anonym. Deshalb war ein Film undenkbar. Zum Glück hatte Hasko Weber mir schon lange angeboten, in Stuttgart etwas zu inszenieren, und ich wusste: Das ist die Chance. Er war auch gleich begeistert. Ich habe mit 25 Bankvorständen gesprochen, und manche haben ihr Tun blind verteidigt und verharmlost. Viele sind zorniger als die Demonstranten in Frankfurt, weil sie früh wussten, dass das der falsche Weg ist mit immensen Folgekosten. Sie sind Mittäter und Opfer zugleich, waren durchaus widerspenstig. Nach außen sind alle loyal. Interessant ist, wie sehr sich die Sichtweisen unterscheiden, die ich in allen Widersprüchen kenntlich machen kann.

Mit Herrhausen haben Sie sich 2001 im Dokumentarfilm „Black Box BRD“ beschäftigt. War das damals ein Thema?
Ich habe auch mit Vorständen anderer Institute gesprochen, und da ging es immer auch ums Investment-Banking und um diese Geldblase, die sich aus sich selbst heraus exponentiell vermehrt, indem sie hingeht, wo die Rendite am größten ist und ergo auch das Risiko. Schon da war klar, diese Blase wird platzen. Man hat mir gesagt: Wir melken die Kuh, solange sie Milch gibt. Es herrschte schon damals Zynismus und ich wusste, ich werde mich damit beschäftigen.

Sehen Banker das als sportlichen Wettkampf?
Das wäre legitim, wenn es am Ende nicht heißen würde: „Too big to fail“, systemrelevant, die Allgemeinheit muss zahlen. Eine große US-Versicherung wie AIG ist in die Knie gegangen und musste gerettet werden. Davon hat indirekt die Deutsche Bank profitiert, ihr wurden Ausfallversicherungen in Milliardenhöhe ausbezahlt! Da wird die ganze Absurdität des Systems offenkundig.

In der Öffentlichkeit wird erstaunlich wenig diskutiert – wundert Sie das?
Man diskutiert monatelang über 250 Millionen bei einem Flughafen, zu Recht, aber wenn für die Pleite der Hypo Real Estate im Juli 2012 das 40-Fache durch den Kamin gejagt wird, ist das eine Zehn-Zeilen-Meldung. Wir verirren uns in Nebendebatten, weil schon die Banker-Sprache bewusst abschreckt, weil Vokabeln wie „alternativlos“ Wirkung zeigen. Die Bürger haben das Gefühl, das sowieso nicht zu durchschaue. Mich hat die Recherche ermutigt: Man kann verstehen, wie Steuergelder vorsätzlich vernichtet wurden, und man sollte es auch, denn da wird Demokratie tagtäglich ausgehöhlt.

Wie groß war die Versuchung, Banker-Bashing zu betreiben?
Ich möchte komplizierte Dinge interessant erzählen an einem Ort, der auch sinnlich ist, wo sich Absurdität entfalten kann, ohne dass die Befragten zu Karikaturen werden. Aber ich benenne halbkriminelle Deals, bei denen bin ich immer noch zornig, obwohl ich das bei Proben schon 198-mal gehört habe. Ich habe Schlüsselsituationen herausgearbeitet, wo Menschen wussten, das ist falsch, nicht nur fürs Institut, sondern in der Konsequenz für die Allgemeinheit, die mit Steuermilliarden haftet.

Ihr Text ist extrem komplex – wie bekommt man den auf die Bühne?
Man braucht geeignete Schauspieler und muss intensiv mit ihnen arbeiten. Ich habe fast ein Jahr lang gesucht, als es nur die Interviews gab, von denen ich je fünf oder sechs zu Charakteren zusammengefasst habe. Interessant waren für mich Schauspieler, die Fragen stellen, Neugierde entwickeln, gedanklich einsteigen. Dann ging es darum, dass sie begreifen, was sie sagen, dass sie nicht zu schnell sprechen und Textflächen wie ein Maschinengewehr in den Zuschauerraum schießen. Das klingt gut, weil man Begriffe wie „stochastische Volatilität“ sowieso nicht versteht, aber man kommt nicht zu einem echten Verständnis.

„Wer auf uns zeigt, meint sich selbst“


Sie arbeiten mit einem Chor – spielen Sie auf die griechische Tragödie an?
Dort ist der Chor das Volk, hier streut er Biografisches ein, zum Beispiel Kindheitserinnerungen von historischer Gewalt. Aber nicht kausal erklärend im Sinne von: Der hatte ein schwierige Kindheit, kein Wunder, dass er so skrupel- und gnadenlos geworden ist. Das wäre eine grauenhafte Verkürzung. Klar ist allerdings: Wenn einer erlebt hat, wie das eigene Haus zerbombt wurde, ist er krisenresistenter und schaut gelassener auf den nächsten Crash. Es geht mir darum, nicht nur fünf Bankvorstände und einen Fahrer in den Raum zu werfen, sondern auch Archetypen, Urbilder von Lebenserfahrung, an die die Zuschauer andocken können als strukturierendes Element.

Sie beschreiben, dass Leute in Banken abgehört und diskreditiert werden – ist das die Realität?
Es wurde mir mehrfach bestätigt. Man setzt gezielt die eigene Pressearbeit ein, um Leute hausintern zu beschädigen. Das sind keine Zufälle, das passiert systematisch.

Es gibt nur eine Frau, Frau Manzinger, und die ist knallhart: Von ihr tropft jede Kritik ab.
Sie ist eine Torrera: Angriff, Schritt, sie lässt die Energie vorbei und kommt dann von einer ganz anderen Ebene, spricht über Bakterienkulturen oder den freien Willen. Und wenn man gerade glaubt, man hat verstanden, was das soll, kommt der Gegenangriff.

Irgendwann geht es um letzte Fragen: Himmelreich statt Himbeerreich?
Alle kamen von sich aus auf Schuld, Verantwortung, auch Transzendenz, obwohl keiner sich für gottgläubig hält. Ich wollte nicht aufhören bei der Frage nach der Gier, sondern die Leute in ihrer Verlassenheit zeigen.

Frisst sich der Kapitalismus selbst?
Das ist die Kernthese: 2000 bis 3000 Investment-Banker sind weltweit dabei, den Kapitalismus zu liquidieren. Angestellte, nicht Arbeiter, wie Marx sich das vorgestellt hat.

Ist mehr Kontrolle eine Lösung?
Ein Hedgefonds-Manager hat mir gesagt: Regelwerke sind dazu da, dass wir sie umgehen. Es gibt ja Regelwerke, Protokolle, Aufsicht; aber es gibt auch eine Bewegung, die mir mehrfach bestätigt wurde, rückt einen Meter vom Tisch ab, ein Handy links, eins rechts, und macht die Insider-Deals – nichts davon taucht im Protokoll auf. Wie soll man ein System reformieren, das im Kern fault?

Nicht zu vergessen die Begehrlichkeiten der Anleger . . .
Das sagt ja Frau Manzinger: Wer auf uns zeigt, meint sich selbst. Sie nennt den Zahnarzt mit dem Steuersparmodell, den Stadtkämmerer, der den öffentlichen Nahverkehr verkauft, auf 99 Jahre zurückleast und glaubt, das sei ein guter Deal, weil er das Kleingedruckte nicht versteht.

Wissen Sie jetzt, wie man zu Geld kommt?
Ich habe mich schon irgendwann gefragt, ob ich weiter brav aufs Sparbuch einzahlen möchte. Aber ich habe vor zehn Jahren meine Lektion fürs Leben gelernt – mit Telekom-Aktien, Stichwort: Volksaktie.