Der emsige Hobbyforscher Heinz Beck entrollt gemeinsam mit seiner Ehefrau Sigrid einen gewaltigen, unfassbar detaillierten Stammbaum der Becks, der auch zeigt, wo und wann Verwandte zum Beispiel in die Neue Welt auswanderten. Fotos: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Geschichte: Heinz Beck arbeitet an Buch zum Waldenserpfad / Forscher sieht immer Bezüge der Vergangenheit in die Gegenwart

Der Gäurand um Simmozheim und Neuhengstett ist Waldenserland. Das lernt jedes Kind hier schon in der Schule.

Simmozheim. Es geht um Vergangenheit und Tradition. Doch die kann verdammt lebendig werden – zum Beispiel, wenn man sich mit Heinz Beck unterhält, einem der Wanderführer des hiesigen Waldenserpfades. Eigentlich stammt Heinz Beck aus Nordhessen, aus dem kleinen (Hugenotten/Waldenser-)Weiler Wiesenfeld. Beruflich verschlug es ihn in den Südwesten. Beck war Systemanalytiker bei IBM, seit Anfang dieses Jahres ist er im Ruhestand. Sesshaft wurden er und seine Familie ausgerechnet in Simmozheim.

Ausgerechnet: "Später, als wir schon längst hier wohnten, entdeckte ich in einem Buch über meinen Heimatort Wiesenfeld einen Hinweis auf Simmozheim." Das habe ihn sofort gefesselt – und "eigentlich nie wieder losgelassen". Ein faszinierender Zufall. Der Link, der Wiesenfeld in Hessen und Simmozheim im Gäu miteinander verbindet: Die Wanderbewegungen der Hugenotten und Waldenser natürlich. Auch die Urahnen der Familie Bec (französische Schreibweise) waren vor den Religionsverfolgungen aus ihrer Heimat Abriès in der Provence/Frankreich über die Alpen nach Württemberg geflohen – und manche von ihnen später weiter ins heutige Nordhessen.

Alte Familienbibel als Quelle

So wurde Heinz Beck zum Forscher, der alles – oder zumindest möglichst viel – über die Geschichte der ehemaligen Religionsflüchtlinge unter seinen Ahnen und über die Hugenotten und Waldenser ganz allgemein herausfinden wollte. Seine Quellen: die alte Familienbibel der Bec(k)s aus dem 16. Jahrhundert, die auch der offiziellen Forschung als eine der ältesten Hugenotten-Bibeln überhaupt gilt. Ein echtes, einmaliges Dokument der Zeitgeschichte – in dem Generationen von Bec(k)s die wichtigen Informationen zur Familie verzeichnet haben. Dazu forstete Heinz Beck auch alle anderen Unterlagen und Urkunden zur Familiengeschichte durch, deren er habhaft werden konnte. Las jedes Buch über das Schicksal der Hugenotten, jede Veröffentlichung über die Waldenser. Hakte im Freundes- und Bekanntenkreis nach, nahm Kontakt mit Experten überall auf der Welt auf.

Was für Heinz Beck aus dieser unvorstellbaren Fleißarbeit entstand: ein sehr komplettes, lebendiges Bild jener Zeit, in der der Urahn der Familie, Chaffré Bec, gemeinsam mit seiner Schwester Marie die Flucht damals wagten. Der Waldenserpfad von Frankreich über Italien, der Schweiz nach Deutschland zeichnet die Route dieser Flucht nach. Heinz Beck kann jeder Station dieses Pfades "nachfühlen". Wie es damals für die Menschen gewesen sein muss auf dieser Flucht. Die Not, die Entbehrung, die Hoffnung, selbst was sie als Proviant dabei hatten, was sie schmeckten, wenn sie aßen, worüber sie redeten, was sie bewegte, welche Bilder aus der Heimat sie im Kopf hatten, welche neuen Bilder dazukamen. Auch – endlich angekommen im Gäu – wie sie hier ihr neues Lands sahen, wahrnahmen. In Besitz nahmen und urbar machten.

"Flucht, gerade aus religiösen Gründen, ist heute ja sehr gegenwärtig", öffnet Heinz Beck eine weitere Dimension seiner ganz persönlichen Geschichtsforschungen. Es entstehe echte Empathie, wenn man begreift, dass solche Erlebnisse auch Teil der eigenen (Familien-)Geschichte sind. Wobei es damit für Heinz Beck nicht aufhört: "Im Prinzip kann ich auch die gesamte Globalisierung der Menschheit durch meine Forschung auf meine Familie herunterbrechen." Der emsige Hobbyforscher entrollt gemeinsam mit seiner Ehefrau Sigrid einen gewaltigen, unfassbar detaillierten Stammbaum der Becks, der auch zeigt, wo und wann Verwandte zum Beispiel in die Neue Welt auswanderten, nach Amerika.

Recherchen werden zur Detektivarbeit

Was nicht immer gut ging – wie eine Geschichte beweist, mit der Becks Recherchen zur Detektivarbeit und zum echten Krimi wurden: er zeigt auf den Eintrag einer Christine Beck, die Ende des 19. Jahrhunderts in Philadelphia/USA lebte. Sie wurde in ihrem Zuhause überfallen und umgebracht, das grausame Verbrechen in der Folge nie aufgeklärt. "Es ist alles enthalten in unserer Familiengeschichte, was die Vielfalt des Lebens zu bieten hat." Natürlich auch die tragischen, die schlimmen Momente.

Wenn Heinz Beck zu Führungen und Vorträgen über seine Geschichtsforschungen einlädt, versucht er diese "vergangenen Welten" für seine Zuhörer wirklich wieder lebendig werden zu lassen. Ehefrau Sigrid liest dann zum Beispiel Passagen aus einem zeitgenössischen Tagebuch, das die damalige Lebensumstände anschaulich beschreibt. "So ergibt sich für den, der dafür empfänglich ist, ein sehr genaues Bild, wie es damals für die Menschen hier entlang des Waldenserpfades gewesen sein könnte." Wobei Heinz Beck natürlich weiß, dass der Blick aus der Gegenwart in die Vergangenheit nie wirklich wahrhaftig sein kann: "Wir waren ja nicht dabei." Aber darum gehe es ihm auch gar nicht. Vielmehr versuche er "aus den vielen unterschiedlichen Puzzle-Teilchen" etwas herauszufiltern, "das mit uns hier in der Gegenwart zu tun hat." Denn die Menschen damals "sind auch ein Teil von uns." Und Heinz Beck erzählt von seinem Cousin in Nordhessen, der heute die wertvolle Familienbibel der Becks hütet. Und "der genauso aussieht wie unser Ur-Ur-Großvater Jacques Beck", der um 1820 geboren wurde. "Die Leute damals - das sind wir!"

Heinz Becks nächstes große Projekt: Ein Buch über seine Forschungen zum Waldenserpfad, das zu jeder der Stationen der paneuropäischen Wanderroute eine dieser unnachahmlich lebendigen Geschichten von Heinz Beck erzählen soll. Vielleicht werde es ein Sachbuch, aber wahrscheinlicher sei ein Roman – weil er da "freier" sei, die Lücken in der offiziellen Forschung mit den "So-könnte-es-gewesen-sein" zu füllen. "Tolle Geschichten zu erzählen, ist für Zuhörer und Leser ja wesentlich spannender, als wenn man sie mit bloßen Fakten überfrachtet." Und Geschichtenerzähler Heinz Beck bringt – bei aller wissenschaftlichen Exaktheit seiner Forschung – diese Arbeit "so herum" offensichtlich auch sehr viel mehr Spaß.