Die Bundeswehr ist immer wieder in den Schlagzeilen.(Symbolfoto) Foto: dpa

Interview: Über entwürdigende Rituale, Volksverhetzung, Rechtsextremismus und Terrorpläne.

Mannheim/Althengstett - Entwürdigende Rituale,  Volksverhetzung, Rechtsextremismus und  Terrorpläne – Schlagzeilen dieser Art machen der Bundeswehr seit einiger Zeit zu schaffen. Doch wie konnte es so weit kommen? Und was kann dagegen getan werden?

Antworten darauf gibt der aus Althengstett (Kreis Calw) stammende Hauptmann Florian Kling in seiner Funktion als Sprecher der kritischen Soldatenvereinigung »Darmstädter Signal«.  Nach  dem  Abitur im Jahr 2006 verpflichtete sich der 30-Jährige für zwölf Jahre als Offizier auf Zeit,  seit vier Jahren fungiert er als Sprecher der Vereinigung. Derzeit  lebt er in Mannheim. Wir haben mit ihm über Reformen, Wehrpflicht und demokratische Gesinnung gesprochen.

Herr Kling, hat die Bundeswehr »ein Haltungsproblem«, »Führungsschwäche« und einen »falschverstandenen Korpsgeist«, wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) es formuliert hat?

Es sind in der Bundeswehr eindeutig Fehler gemacht worden – sonst hätte eine rechtsextremistische Gruppe um Franco A. in der Truppe nie eine Chance gehabt, dienstlich weiter zu kommen und Karriere zu machen. Auch die anderen Skandale wären früher aufgedeckt oder verhindert worden. Für ihren Fehler, deshalb aber pauschal alle Soldaten zu kritisieren, hat sich die Ministerin bereits entschuldigt. Die große Masse unserer Soldaten sind gute Menschen und treten jeden Tag ihren wichtigen Dienst für unser Land an. Aber die Häufung an Vorfällen hat gezeigt, dass nicht alles in Ordnung ist und rund läuft bei den Streitkräften. Über die vergangenen Jahre wurde die Bundeswehr vor allem auf den Einsatz hin optimiert und reformiert, viele grundlegende Ausbildungsbereiche wie politische Bildung, demokratische Erziehung und das Gespräch mit den Soldaten über ihren Beruf und unser Selbstverständnis sind zu kurz gekommen. Auch müssen sich Offiziere die Frage gefallen lassen, wie viel Kritik sie weitergemeldet haben und ob sie nicht selbst Teil einer Schweigekultur und Absicherungsmentalität sind, die viele Korrekturen verhindert haben.

Die Verteidigungsministerin hat  Reformen und ein Programm namens »Innere Führung heute« angekündigt. Wie müssten diese Maßnahmen aussehen, damit etwas verändert werden kann?

Anders als ein normales Unternehmensleitbild in der Wirtschaft, darf das Konzept der »inneren Führung« in der Bundeswehr nicht nur eine werbewirksame Spruchsammlung auf der Firmen-Homepage sein, sondern es legt jedem Soldaten eine ganz besondere Pflicht zum Dienst für das Grundgesetz auf. Soldaten sollen nie wieder blindem Gehorsam folgen und sich an Kriegsverbrechen oder Straftaten beteiligen, sondern stets ihre Entscheidungen mit ihrem Gewissen und Wissen um die geltenden Gesetze abgleichen und danach handeln oder eben auch nicht. Das kann erreicht werden durch Kurse zum besseren Verständnis unserer Demokratie, Stärkung der Ethik- und Wertemaßstäbe unserer Soldaten, durch charakterliche Erziehung vor allem durch Vorbildfunktion der Vorgesetzten und moderne Führungstechniken. »Verantwortung« für sich und das große Ganze lautet das Stichwort. Das Ende eines Systems struktureller Verantwortungslosigkeit kann jetzt nicht gelöst werden, indem wir den Vorgesetzten jede Entscheidungsmöglichkeit bei Disziplinarmaßnahmen nehmen und weiterhin Mikromanagement von oben herab zulassen. Zur »inneren Führung« gehört auch das Vertrauen von der Gesellschaft, der Politik und des Verteidigungsministeriums in ihre Soldaten – auch wenn Fehler passieren.

Halten Sie eine Wiedereinführung der Wehrpflicht  für sinnvoll, um Extremismus  in der Bundeswehr zu bekämpfen und vorzubeugen?

Eine Diskussion um die Wehrpflicht ist hauptsächlich Wahlkampf – sie kann keine Lösung für alle Probleme der Bundeswehr bringen. Zudem war die Zahl der rechtsextremen Vorkommnisse zu Zeiten der Wehrpflicht höher als heute. Das Spiegelbild der Gesellschaft kann die Bundeswehr nie werden, wenn – wie im letzten Jahr der Wehrpflicht – überhaupt nur 19 Prozent eines Männerjahrgangs eingezogen werden. Wenn sich an dieser Wehr-Ungerechtigkeit nichts ändert, sehe ich für die Wehrpflicht in ihrer alten Form keine Zukunft.

Sie sagten gegenüber anderen Medien, dass die Ministerin drei Jahre Zeit gehabt hätte »die Bundeswehr systematisch und strukturell zu verändern«. Wie hätte das aussehen können?

Die Bundeswehr braucht wieder eine gesunde Fehler- und Diskussionskultur, bei der jede Stufe der Hierarchie zunächst ihre eigenen Probleme abstellt, statt Probleme nur weiterzuleiten oder im schlimmsten Fall gar nicht erst zu melden. Mit der Praxis des Durchregierens aus dem Ministerium musste jeder Kritiker befürchten, seines Amtes enthoben zu werden oder bei Problemen versetzt zu werden. Das hat zu keinem vertrauensvollen Verhältnis zwischen Führung und Truppe beigetragen. Erst wenn wir wieder Soldaten mit »Arsch in der Hose« haben – die nicht nur für sich, sondern für das Ganze denken und danach auch handeln –, lassen sich die riesigen Baustellen in der Bundeswehr beseitigen. So etwas muss von oben gefördert werden, und zeigt sich auch im Abbau von Bürokratie, Entlastung von sinnlosen Verwaltungspflichten und dem Beseitigen von leeren Strukturen, in denen es nur Generäle gibt, aber keine Soldaten.

Im Gespräch mit anderen Medien wiesen sie darauf hin, dass »der Traditionserlass rigoros durchgeführt« werden müsse. Was meinen Sie damit konkret?

Ich fordere einfach die vollständige Umsetzung des seit 1982 existierenden Erlasses in der Bundeswehr. Das ist seit jeher die Aufgabe der Kommandeure vor Ort. Eigentlich ist alles geregelt, nämlich die Trennung zwischen der erlaubten historischen Aufarbeitung der Vergangenheit und der verbotenen geistigen Anlehnung an die Wehrmacht im Nationalsozialismus. Wegen früherer Probleme und Vorfälle ist 1999 noch ein Richtlinienpaket des Generalinspekteurs zur Politischen Bildung und Historischen Sammlungen dazugekommen – das kennt niemand. Wenn ein Soldat wissen will, wie Rommel taktisch vorgegangen ist, soll er das aufarbeiten dürfen, aber er braucht ihn nicht zur Sinnstiftung oder Suche nach Werten und Moral.

Sie sprechen auch von einer »demokratischen Gesinnung auf Basis des Grundgesetzes«. Sollte diese in der Bundeswehr nicht schon längst vorherrschen?

Solch eine Gesinnung entsteht nicht einfach aus der Luft. Zeiten von Trump, Wilders, LePen und der AfD zeigen doch, dass solche Einstellungen jeden Tag neu errungen werden müssen. Auch die jungen Soldaten sind erst einmal nur Schulabgänger. Damit ist noch kein gefestigter Wertekompass verbunden. Die Charakterbildung hin zum mündigen Staatsbürger muss bei vielen erst noch stattfinden und begleitet werden.