Mit dem Ausscheiden des Ehepaars Thiele geht in Neuhengstett und Ottenbronn eine Ära zu Ende. Foto: Bausch Foto: Schwarzwälder-Bote

Das Ehepaar Thiele hört bald auf / Auf den Friedhöfen in Neuhengstett und Ottenbronn eine Ära

Von Bettina Bausch

Althengstett-Neuhengstett/Ottenbronn. Im Waldenserort Neuhengstett und im Nachbarort Ottenbronn geht in wenigen Wochen eine Ära zu Ende: Eine langjährige Tradition wird aufgegeben. Andernorts kommen zum Ausheben von Gräbern längst Minibagger zum Einsatz. Doch der langjährige Totengräber der beiden Althengstetter Ortsteile, Gerd Thiele, schwört auf Handarbeit. Er hebt seit 48 Jahren Gräber mit Pickel und Spaten aus. Im Laufe der Jahrzehnte waren es rund 950 Gräber, die er so vorbereitet hat. "Ich merke, dass es jetzt einfach Zeit ist aufzuhören, denn mein Rücken will nicht mehr mitmachen", sagt Thiele.

Jedes Mal wenn er einen Anruf über einen Todesfall bekommt, hat er mindestens zwölf Stunden Handarbeit vor sich, bis das Grab von 2,20 Metern Länge, einem Meter Breite und 1,60 Meter Tiefe ausgehoben ist. In Ottenbronn sei der Untergrund extrem steinig, da benötige er einen Kompressor, um die nötige Tiefe zu erreichen. Hier beträgt seine Arbeitszeit zwischen 15 und 18 Stunden für einen Grabaushub und das nachträgliche Auffüllen.

Ehefrau Ida Thiele war die Tätigkeit ihres Mannes nie fremd. "Schon mein Großvater war Leichenbeschauer und Totengräber in Neuhengstett, bis er 1937 starb", erzählt sie. Danach habe ihr Vater rund 30 Jahre lang diese Aufgabe übernommen. Und als dieser dann aufhörte, sei der damalige Bürgermeister von Neuhengstett zu ihnen gekommen und habe einfach gesagt: "Ihr macht das jetzt."

Der rüstige Rentner arbeitete mehr als 40 Jahre beim Straßenbauamt Calw und musste für seine Tätigkeit als Totengräber tageweise frei nehmen. Auch Ehefrau Ida hat jetzt schon seit 43 Jahren regelmäßig mit den Bestattungen zu tun. Sie reinigt die Aussegnungshalle und sorgt mit für den äußeren Rahmen bei Beerdigungen. Sie führt den Terminkalender, bestellt den Begräbnischor und kümmert sich um das Läuten.

In der Wohnung der Thieles hängen der Wahlspruch der Waldenser "Lux lucet in tenebris" (Das Licht leuchtet in der Finsternis) und das Thüringer Landeswappen einträchtig nebeneinander. Wer über diese ungewöhnliche Kombination Genaueres wissen möchte, bekommt von den Gastgebern gerne Auskunft. Ida Thiele ist eine geborene Ayasse und hat viel Waldenserblut in ihren Adern.

Gerd Thiele wurde in Thüringen geboren. "Wir kamen über die grüne Grenze aus der DDR, als ich neun Jahre alt war", erzählt er. Thiele lebte dann mit seiner Familie auf der Schwäbischen Alb bei Münsingen. Als junger Mann kam er zur Bundeswehr nach Calw. So lernte sich das Paar kennen.

Die Eheleute heirateten 1965 und haben in Neuhengstett ein Haus gebaut, in dem auffallend große Tische in der Wohnung und auf der Terrasse stehen. "Wir haben sechs Kinder, 15 Enkel und sieben Urenkel", berichtet die Seniorin lächelnd. Damit ist das mit den großen Tischen bei der sonstigen Möblierung für zwei Personen geklärt.

Am 31. Juli werden die Thieles von der Gemeinde Althengstett verabschiedet. Doch langweilig wird es ihnen danach bestimmt nicht werden. Sie haben einen großen Gemüsegarten, außerdem hat das Ehepaar Hühner und Hasen, die versorgt werden müssen. Ida Thiele ist außerdem viel im Ort unterwegs und besucht kranke und einsame Menschen.